Thomas H. A. Becker

Historische Vorbilder für Thomas Mann: Töchter von Julius finden Eingang in die Weltliteratur

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Frau Knöterich im Doktor Faustus und Natalie Mallinckroth im Zauberberg sind Giulia und Natalia Mannhardt

Die Schriftstellerfamilie Mann und die Mannhardts haben über Jahre Kontakt miteinander gehabt. Zwei Töchter von Julius Mannhardt haben über Thomas Mann sogar Eingang gefunden in die Weltliteratur: Frau Knöterich aus dem Doktor Faustus und Natalie Mallinckroth im Zauberberg sind inspiriert von Giulia und Natalia Mannhardt.

Im Gespräch mit Autor Karsten Blöcker im Mai 2023
Im Gespräch mit Autor Karsten Blöcker im Mai 2023. Leider verstarb Herr Blöcker wenige Monate später.

In einem Interview im Mai 2023 bestätigt Autor Karsten Blöcker aus Lübeck, Forscher und Publizist zu der Familie Mann, die historischen Vorbilder für die literarischen Figuren. Zum Interview lädt Blöcker in seine Wohnung ein. Aus dem sechsten Stock ist die Altstadt mit ihren berühmten sieben Türmen zu sehen, die auch für viele Jahre das Leben der Manns und Mannhardts überspannten. Karsten Blöcker zu der Beziehung von Thomas Mann zu Natalia und Giulia Mannhardt, die er bei seiner Schwester Julia in München getroffen hat:

1885 kam Julius Mannhardt nach Lübeck. Seine erste Anschrift war Schüsselbuden 16, ein zurzeit eingerüsteter Neubau. Das Haus blickt auf die Westseite der St. Marien-Kirche aus dem 13. Jahrhundert, an deren Nordseite das Buddenbrookhaus der Manns liegt. Die Tochter von Julius, Natalia, hatte die Schwester von Thomas Mann, Julia (genannt Lula) an der Höheren Töchterschule kennengelernt, die Natalia seit 1890 besuchte.

Im April 1887 zogen die Mannhardts aus der Innenstadt auf die andere Seite des Burgtores, in die Louisen – heute Eschenburg – Straße 29 A, gegenüber dem Friedhof.

1885 kam Julius Mannhardt nach Lübeck. Seine erste Anschrift war Schüsselbuden 16. Die Familie Mann wohnte schräg gegenüber.

„Totentanz ist ein Unterkapitel des fünften Kapitels überschrieben, in dem eine Natalie Mallinckrodt vorkommt“, so Karsten Blöcker. Mann schrieb es nach vierjähriger Unterbrechung seiner Arbeit am Werk. Ungefähr zeitgleich schreibt er in seinem Tagebuch über einen gemeinsamen Abend bei seiner Schwester Julia und Ehemann Dr. Josef Löhr:
„Hörte aber von Lula über die furchtbare Krankheit der Natalia K.: eine allgemeine Tuberkulose, höchst qualvoll: Ekzem, Gelenkrheumatismus, Herzbeängstigung, Schlingbeschwerden.“

Die Eschenburg – Straße 29 A in Lübeck, das ehemalige Wohnhaus der Mannhardts.

Im Zauberberg nimmt sich das so aus:

„Frau von Mallinckrodt, Natalie mit Vornamen, mit schwarzen Augen und goldenen Ringen in den Ohren, kokett, putzsüchtig und dabei ein weiblicher Lazarus und Hiob, von Gott mit jederlei Bresthaftigkeit geschlagen.“

„Ob die Herren sich etwa auch ekelten, fragte sie kokettierend; und ihre Rasse-Weiblichkeit triumphierte über das Ekzem, das ihr das halbe Gesicht überzog.“

Zu dieser Zeit war Natalia offenbar schon in Kreuth am Tegernsee, wo sie nach ihrer Ehe mit dem wohlhabenden Bürgermeistersohn aus Lübeck, Eduard Kulenkamp, verarmt am 4. April 1925 starb.

Den Abend der Inspiration beschreibt Karsten Bröcker so:

Zu der Familie Mannhardt ist Karsten Blöcker über Arnold Brecht gekommen. Der lernte Thomas Mann 1903 in Göttingen kennen. Er und sein Freund Jürgen Fehling schickten ihm ein Telegramm, luden ihn ein, zu kommen und zechten anschließend gemeinsam in der Kneipe „Mütze“.

Ein Verehrer und wohl auch eine finanzielle Stütze bis an ihr Lebensende war Arnold Brecht. Arnold Walter Rudolf Brecht (* 26. Januar 1884 in Lübeck; † 11. September 1977 in Eutin) war ein deutsch-amerikanischer Jurist und Politikwissenschaftler. Er war führender Beamter in der Weimarer Republik. Er gehörte zu den wenigen demokratisch gesinnten Spitzenbeamten, die aktiv für die Bewahrung der Weimarer Republik eintraten.

Wikipedia zu Jürgen Fehling (Screenshot, 19.9.2023 )

Offenbar hat Natalia Mannhardt auch beim Freund von Arnold Brecht, Jürgen Fehling, einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Beide schwärmten noch in den 50er Jahren in ihrem Briefwechsel von Natalia.

Roeckstrasse 7, Lübeck: Todeshaus von Hanno Buddenbrock

Die Bilder und Informationen zu Natalia Mannhardt hat Karsten Bröcker von Herrn Jodeit übernommen, der am gleichen Tag wie er einen Bericht über die Manns in Lübeck veröffentlichte. Blöcker hatte über sein damaliges Wohnhaus in der Roeckstrasse 7 (Baujahr 1862) veröffentlicht, das in den Buddenbrocks vorkommt als Wohnhaus von Gerda und Todeshaus von Hanno:

Giulia und ihr Ehemann Eugen Knözinger – Verarbeitung im Doktor Faustus
Die zweite Tochter von Julius Mannhardt, Giulia (geboren 1870 in seiner Zeit in Florenz) war seit 1899 mit Eugen Knözinger verheiratet (* München 1866). Der Oberpostrat betätigte sich nebenberuflich als Geigenbauer, scheint aber nicht sehr von Mann geschätzt worden zu sein, wenn man die literarische Verarbeitung im Doktor Faustus für eine solche These heranziehen darf:

„Der Mann, Konrad Knöterich, autochthon münchnerisch, dem Ansehen nach einem alten Germanen, Sugambier oder Ubier gleich – es fehlte nur obenauf der gedrehte Haarschopf – von unbestimmt künstlerischer Beschäftigung – er wäre wohl eigentlich Maler gewesen, dilettierte aber im Instrumentenbau und spielte recht wild und ungenau das Cello, wobei er heftig durch seine Adlernase schnob – die Frau, Natalia, brünett mit Ohrringen und schwarzen, in die Wangen sich biegenden Ringellöckchen, von spanisch-exotischem Einschlag und ebenfalls malerisch tätig.“

„…die Frau, Natalia, brünett mit Ohrringen und schwarzen, in die Wangen sich biegenden Ringellöckchen, von spanisch-exotischem Einschlag und ebenfalls malerisch tätig.“

Thomas Mann, wie er im Doktor Faustus die Tochter Giulia Mannhardt verarbeitete

Literatur von Weltgeltung
Das Buch „Buddenbrooks: Verfall einer Familie“ von 1901 ist das früheste unter den großen Werken Thomas Manns und gilt heute als der erste Gesellschaftsroman in deutscher Sprache von Weltgeltung. Er erzählt vom allmählichen, sich über vier Generationen hinziehenden Niedergang einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und illustriert die gesellschaftliche Rolle und Selbstwahrnehmung des hanseatischen Großbürgertums zwischen 1835 und 1877. Thomas Mann erhielt 1929 für die Buddenbrooks den Nobelpreis für Literatur.

Im „Doktor Faustus“ geht es um den Altphilologe Zeitblom, der 1943–1945 die Biographie seines hochbegabten, existentiell gefährdeten Freundes Leverkühn verfasst. Der Roman verschränkt das Leben eines Komponisten, der seine Seele dem Teufel verschreibt, mit der sogenannten deutschen Katastrophe.

Ein Artikel von Karsten Blöcker zu der Beziehung zwischen Manns und Mannhardts erschien 2012 in „Der Wagen“. Sein neuester Artikel „Thomas Mann und die Schokoladenprinzessin“ ist in der aktuellen Ausgabe 2022/23 von „Der Wagen“ zu lesen.

Eickhölter, Manfred (Hrsg.): „Die reizende Natalia, sie bezauberte Thomas Mann und andere“, erschienen in: Der Wagen 2012
https://www.die-gemeinnuetzige.de/einrichtungen/der-wagen/