Thomas H. A. Becker

Im Tal der 100-Jährigen: Vilcabamba

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Im Tal der 100-Jährigen: Vilcabamba

Greise, Gringos und der San Pedro-Kaktus: Im Süden Ecuadors werden die Menschen extrem alt

Rund 500 Kilometer südlich des Äquators, in einem milden Talkessel gelegen, hat Vilcabamba eine Durchschnittstemperatur von 20 Grad. Das ganze Jahr hindurch. Unter dem oft blauen Himmel zwischen sanften Berghängen lässt es sich leben. Und das tun viele der Vilcabambeños auch – und zwar länger als anderswo auf der Welt. Behaupten sie.

Vilcabamba liegt auf rund 1500 Metern, die kleine Gemeinde ist rundherum von Bergen umgeben.

Rucksacktouristen, Hippies und Wissenschaftler

Das letzte Tal Ecuadors bevor Peru beginnt, hat einen legendären Ruf. Im Valle de los longevos – dem Tal der 100-Jährigen leben ungewöhnlich viel alte Menschen. Die Welt hat in den 50er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts davon erfahren, als ein Bericht des US-Magazins „Readers Digest“ von einem magischen Ort der Superalten im Süden Ecuadors berichtete. Seitdem hat Vilcabamba weltweit einen Ruf und lockt Rucksacktouristen, Hippies und Wissenschaftler an.

Aus aller Welt kommen sie, um das Geheimnis des keinen Ortes zu ergründen. Neben einem gesunden Leben mit regelmäßiger Bewegung, gesunder Luft und gesundem Wasser fanden Forscher heraus, dass einige der Bewohner offenbar geflunkert hatten, was ihr wahres Alter betrifft. Sie hatten beispielsweise die Namen schon verstorbener Verwandter angegeben – bei der Kontrolle von Geburtsregistern schien das biblische Alter dann wahrscheinlich.

„Der Name kommt vom Huilco-Baum, den schon die Inkas schätzten.“

Bürgermeister Carlos Ortiz, 30 Jahre alt

Carlos Ortiz über die Architektur Vilcabambas

Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht – der Bürgermeister verweist auf eine geplante Volkszählung 2020. Allerdings scheinen Herz- und Kreislaufproblem auch im höchsten Alter hier fast unbekannt zu sein. Und die alten Menschen, denen man hier begegnet, wirken durchweg 20 Jahre jünger.

Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht – der Bürgermeister verweist auf eine geplante Volkszählung 2020. Allerdings scheinen Herz- und Kreislaufproblem auch im höchsten Alter hier fast unbekannt zu sein. Und die alten Menschen, denen man hier begegnet, wirken durchweg 20 Jahre jünger.

1000 Gringos sind in den zurückliegenden Jahren hierher gezogen

Fast wie beim Celebrity-watching kommen Besucher aus aller Welt, um die Superalten selber zu sprechen und das Geheimnis von Vilcabamba zu entschlüsseln. In den zurückliegenden Jahren sind sogar rund 1000 Menschen in dieses abgelegene Dorf gezogen, in das lediglich eine Straße hinein und eine hinausführt. Sie wollen vom angeblichen Methusalem-Effekt zu profitieren. Die kleine Gemeinde hat selbst rund 4000 einheimische Einwohner, auch dazu gibt es lediglich Schätzungen. Insgesamt leben rund 18 Millionen Menschen in Ecuador, das etwas größer als die alte Bundesrepublik.

Bud (links) mit einem erst kürzlich zugezogenen US-Amerikaner auf ihren E-Bikes
Bud Goodwin (74), ehemaliger Sheriff und Neubürger von Vilcabamaba über die „Gringos“

Monte Sueños – Berg der Träume
Eine dieser Zuwanderer ist die 75jährige Meredith. Sie kam vor 15 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Brian aus den USA nach Ecuador. Brian war Astronaut, der sich Ende der 60er Jahre mit der NASA auf einen Flug zum Mars vorbereitete. Doch das Programm wurde eingestellt. In den Berghang haben sich die Beiden vier farbenfrohe Häuser und zwei Versammlungsplätze gebaut. Hier werden nun vor allem spirituelle Gäste oder Menschen mit Visionen für eine bessere Welt empfangen.

In der Eingangshalle von Monte Sueños

Von ihrem hölzernen Schaukelstuhl blickt Meredith auf das sanfte Tal. Sie deutet auf einen grau-schwarzen Hang an der Bergflanke gegenüber. Hier hatte ihr Empleado, ihr Hausangestellter bis in die Nacht ein Feuer gelöscht. Er und Nachbarn haben das Haus seiner Mutter gegen den Waldbrand verteidigt. Fast den gesamten Hang hat er verwüstet, aber das aus konnten sie retten. Viele beschäftigen in Ecuador noch Empleados. Die Angestellten sind oft die guten Geister im Haus. Gerade die männlichen sind zuständig für alles – von kleinen Reparaturen bis zum Wachdienst in der Nacht, besonders, wenn sie mit im Haus wohnen. Bei den wenigen nationalen Feiertagen und nur 2 Wochen Urlaub sind sie eigentlich immer im Dienst.

Mindestlohn rund 400 Dollar

Da das öffentliche Schulsystem in Ecuador den vielen Kindern aus armen Familien kaum Chancen bietet, sind viele froh, überhaupt den Mindestlohn von 400 Dollar zu bekommen. Damit liegt Ecuador im Mittelfeld in Lateinamerika. Weiterer Vorteil: Die Empleados werden damit automatisch Mitglied der stattlichen Gesundheitsversorgung.

„Um die Welt ein bisschen besser zu machen“

Meredith, 75, seit 15 Jahren in Vilcabamba

„Wir haben diesen Komplex gemeinsam mit unseren Nachbarn und unserem Hausangestellten auf eine organische Weise gebaut. Er hat dann seine eigene Seele entwickelt. Mit diesen unglaublichen Bergen, diesem Himmel und dieser warmherzigen, offenen Kultur, die die Ecuadorianer pflegen. Ich fühle einfach, dass ich hier her gehöre“, sagt Meredith und blickt ins Tal. Sie ist hier oben auf ihrem Berg der Träume eine Institution – und sowas wie der spiritueller Sammelpunkt Vilcabambas.

Zimmer für Gäste auf Monte Sueños

„Ich habe hier sowas wie ein Gringo-Matriarchat. Wir wollen hier die Fantasie der Menschen anregen, ihr Wissen über den Planeten und die Menschen. Deshalb haben wir hier die regelmäßigen Treffen.“

Obwohl ihr Mann Brian vor acht Jahren gestorben ist, trage sie diesen Geist weiter wie eine Fackel: „Um die Welt ein bisschen besser zu machen“, wie sie sagt.

Das Tal der 100-Jährigen ist auch bekannt für viele Pflanzen, die halluzinogene Eigenschaften haben. Schon der Namensgeber der Stadt, der Huilco-Baum, hat halluzinogene Eigenschaften. In der Sprache der Indigenen, dem Quichua, bedeutet der Name huilco „heilig“ und bamba bedeutet Tal: das heilige Tal. Der Huilco wird außerdem geschätzt, weil er besonders viele Schadstoffe aus der Luft filtert und seine Blätter unter anderem zur Behandlung von Atemwegserkrankungen verwendet werden können.

„Jede Pflanze bewegt sich auf ihre einzigartige Art und hinterlässt seine Spuren in der Erde.“ Heril Bone, 31 Jahre alt

Der San Pedro-Kaktus: Drogen-Epidemie in den 90ern

Zu einem wahren Problem wurde in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Kaktus. Im ganzen Tal war der so genannte San Pedro verbreitet, bis die Stadtverwaltung ihn rigoros abholzen ließ, weil die Stadt voll war von halluzinierenden Gringos, wie alle hellhäutigen Ausländer von den Einheimischen genannt werden. Doch Eingeweihte wissen, wo im Tal sie den bis zu fünf Meter hohen, buschartigen Kaktus auch heute finden können. So wie die 31jährige Heril Bone, die aus der lärmenden Vier-Millionen-Metropole Guayaquil nach Vilcabamba gezogen ist: „Ich habe damit vor drei Jahren angefangen, hier in Vilcabamba, und es hat mein Leben zum Besseren verändert. Das Meskalin lässt dich viel Liebe spüren und verbindet Dich mit Deinem weiblichen Inneren. Ich habe es mit meiner Freundin und ihrem Mann genommen, als sie im 5. Monat schwanger war. Wir haben uns an den Fluss gesetzt, und ich habe das erste Mal die Pflanzen sprechen hören, und konnte so zum ersten Mal mit der Mutter GAIA kommunizieren. Und jede Pflanze bewegt sich auf ihre einzigartige Art und Weise und hinterlässt seine Spuren in der Erde.“

Drogen Experimente mit Ayahuasca

Auch Bud Goodwin, der auf einer der gusseisernen Bänke unter den Huilco-Bäumen um Zentralen Platz sitzt, hat seine Erfahrungen mit den halluzinogenen Pflanzen gemacht. Jede Droge ist auch Medizin und umgekehrt, sagt er:

Der ehemalige Sheriff Bud Goodwin über den Umgang mit Ayahuasca

Der Ruf Vilcabambas als Jungbrunnen hat den ehemaligen Sheriff in das Land am Äquator gelockt. Schon als Schüler hatte er davon gehört und Geschichte niemals aus dem Kopf bekommen. Die bescheidene Rente des heute 74-Jährigen reichte in den USA nicht aus. Hier genießt er seit einigen Jahren ein entspanntes Leben mit 800 Dollar Rente im Monat. Und die Ruhe und Sicherheit:

Vilcabamba – einer der sichersten Orte für Bud
Don Delgado und seine Frau Maria Mercedes vor ihrem Haus. Er wird 110, sie ist 94 Jahre alt.

José Javier Delgado – oder Don Delgado, wie ihn hier alle nennen – gehört zu den nachweislich über 100jährigen. Er wohnt ein wenig außerhalb. 15 Minuten geht es auf einer Huckelpiste vorbei an Flüssen und durch sanfte Täler. Im Februar (2020) wird er 110 Jahre alt. Er und sein Frau Maria Mercedes heirateten 1942. Als in Europa die Schlacht um Stalingrad begann, war er 32, sie 17. Heute ist Maria Mercedes mit ihren 94 Jahren weit rüstiger als ihr Mann, für den sie noch immer jeden Tag kocht. Aber viel Essen mag er nicht mehr, sagt sie.

Eine Colada – ein gehaltvolles, warmes Getränk, das oft aus Zimt und Quinoa hergestellt wird jedoch, gibt es jeden Tag für ihn. Verfeinert wird es mit Apfel oder Guayaba, um es für den Magen verträglicher zu machen.

Ob sein hohes Alter auch genetisch bedingt ist, weiß Don Delgado nicht zu sagen: „Meine Eltern habe ich nie kennengelernt. Ich bin im Schutz der Kirche aufgewachsen, ein Priester hat mich großgezogen. Und für die Kirche habe ich als Postbote gearbeitet. Ich bin immer zu Fuß gelaufen, es gab noch keine Autos. Und dann habe mal hier mal da gelebt, bis es mich als Jugendlicher nach Vilcabamba gezogen hat.“ Und nun werde er bis zu seinem Lebensende hier bleiben. Und dafür hat er sich mit dem Tal der 100-Jährigen den perfekten Ort ausgewählt.