Julius Mannhardt: Reise und Leben in Konstantinopel

Datum

Mare Adriatica – an Bord der Jupiter 3. Februar 1867

Dies ist die Abschrift einer Abschrift. Die Briefe lagen wohl handschriftlich vor. Wahrscheinlich hat Mathilde Becker (geborene Krombach) sie in Maschine übertragen. 2020 wurde sie von Doris Becker abgetippt und von Thomas Becker digitalisiert. Änderungen in dieser Version: Besser lesbare Überschriften, inhaltliche Ergänzungen, kenntlich gemacht durch (Anm.). Das Wort sic (lat. „so“, „wirklich so“) bedeutet, dass ein mutmaßlicher Fehler bemerkt aber nicht korrigiert wurde. Ursprünglich hatte der Text die Überschrift „Mare Adriatica – An Bord der „Jupiter“ 3. Februar 1867“. Das war irreführend, da die Erzählungen sich an weit mehr Orten zutragen. Der Titel wurde geändert in „Reise und Leben in Konstantinopel“

Diese Veröffentlichung wurde durch die Arbeit von Michael, Doris und Wulf Becker möglich

Am 25. Januar schrieb ich aus Prag mit der Absicht, am folgenden Morgen abzureisen. Ich bin aber bis zum 28. dort geblieben und zwar krank im Bett und in der gedrücktesten Stimmung. Grauer Himmel, Kälte, Schmutz und dazu tüchtige Grippe. Ich konnte nicht einmal lesen bis zum Sonntag, an dem ich mich ins Studium der griechischen Geschichte vertiefte. Dadurch fand ich eine Art Behagen. Am Montag reiste ich endlich früh aus Prag ab und kam abends spät nach Wien.

Die Gesellschaft war entmannt, die Reise sehr ermüdend, man sah nichts als die unendlichen Schneeflächen der mährischen Ebene. In Wien im Erzherzog Carl fand ich es behaglich und komfortable. Bis dahin fast ohne Schlaf schlief ich zum ersten Mal fast bis zum lichten Tag.

Am Dienstag begab ich mich zu Prof. Arlt, der mich mit offenen Armen empfing. Ich blieb bis nach seiner Opalardinationsstunde, worauf wir in seiner Familie Kaffee tranken. Er bedauerte sehr, am Abend amtlich verhindert zu sein und brachte mich zu dem Spital in die Alser Vorstadt zu seinem 1. Assistenten, Dr. Becker, der mich gleichfalls unendlich freundschaftlich aufnahm. Wir brachten dort mehrere Stunden zu, in denen er mir vielerlei zeigte. Dann musste auch er in eine Konferenz und brachte mich deshalb ins Kärntner-Tor-Theater (Opernhaus), wo „Joseph in Ägypten“ sehr schlecht gegeben wurde, außer dass die Bettelheim sehr gut sang. Ich blieb deshalb nicht lange da und ging in ein Bierhaus, wo ich nach Verabredung Dr. B. wieder traf und wo wir mit anderen Kollegen noch lange beisammen blieben. Erst als ich zu Bett ging, merkte ich, dass ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte, so sehr hatte die Unterhaltung mich beschäftigt.

„Zuerst schon war das Schiff überflutet worden von Strolchen und Gaunern, die ihre Dienste anboten“

J. Mannhardt über die Ankunft auf Korfu

Mittwochmorgen war Dr. B. schon um 8 Uhr bei mir und holte mich zur Klinik, um mir seine neue Methode für Astigmatismus-Untersuchungen zu zeigen. Um 10 Uhr wohnte ich dem Arlt‘schen Klinikbesuch bei, dann fuhr B. mit mir aus, um mir die Stadt zu zeigen.

Zeit in Wien
Wien ist, so wie es geworden, die schönste Stadt, welche ich kenne. Kein Platz in Paris lässt sich mit der Pracht der neuen Anlagen dort vergleichen. Der Stadtpark z.B. mit dem reizenden Kurhaus in heiterstem Renaissancestil würde für sich schon den großartigsten Anblick gewähren, auch wenn er nicht von Gebäuden in weitem Umkreis und auf harmonische Weise umgeben wäre, welche in ihrer Verschiedenheit und durch ihre Pracht und Vollendung ein Ensemble ausmachen, welches durchaus unbeschreiblich und durch nichts übertroffen ist. Da ist das Neue Gymnasium, ein rein gotischer Prachtbau, dahinter eine Kirche mit gewaltiger Kuppel, zur Seite das prächtige Palais Cohary und dann der Palast des Erzherzogs Wilhelm ganz aus weißem Marmor. Auch die Neubauten vor dem Kärntner Tor und der Burg, das neue Opernhaus etc, und endlich die neue Votivkirche auf dem Alser Glacis, ähnlich unserer Nicolaikirche. Alles das macht einen großartigen und reichen Eindruck.
Aber auch das alte Wien mit seinen Palästen, den prächtigen Läden, dem Gedränge und Lärm, den schönen Equipagewagen, den Uniformen, eleganten Toiletten machte auf mich aufs Neue einen anziehenden und heiteren Eindruck. Ich liebe Wien ungemein. Wie armselig und nüchtern ist Berlin dagegen.

„Wien ist die schönste Stadt, welche ich kenne“

J. Mannhardt


Wir fuhren noch in den Prater, endlich zu Prof. Gulz, dann zu Dr. B. nach Hause, wo ich seine Frau kennenlernte, eine Dame aus den reichsten und gebildetsten Kreisen Wiens. Sie erzählte mir vieles von den wiener- und österreicher Verhältnissen. In allen Kreisen herrscht die Überzeugung, dass Österreich zu Galagrunde muss. Man hofft, (d.h. in deutsch-österr. Kreisen) jetzt nur noch auf Preußen.
Mittags hatten wir ein vortreffliches Diner bei Arlt, wo ein Hauptmann v.H. der im Ministerium ist, mir neue Aufschlüsse in demselben Sinne gab.
Nach Tisch ging ich mit B. Zu Prof. Stellweg v. Carion, der mich sehr gut aufnahm und mit dem ich mich eine Stunde vortrefflich unterhielt. Er gab mir interessante literarische Aufschlüsse und ich freute mich sehr, ihn besucht zu haben, um so mehr, als Arlt mir nachher erzählte, dass er Stellweg eingeladen, derselbe aber abgelehnt habe, weil ich ihn nicht besucht habe.
Abends waren wir mit einigen Kollegen bei Arlt, wo mancherlei Fragen aus dem Ophthalmie. Gebiet behandelt wurden. Arlt erzählte mir nebenbei seine Lebensgeschichte und ich gewann eine hohe Achtung vor diesem Mann, der sich namentlich durch Humanität von seinen Landsleuten unterscheidet.
Dr. B. ist Norddeutscher und deshalb ist für ihn das Verdienst, aufgeklärt und vorurteilslos zu sein, weniger groß.
Um 11 Uhr verließen wir Arlt und gingen mit den holländischen Kollegen ins Theater an der Wien, wo Maskenball war. Obwohl die Sache für Fremde, die dort keine speziellen Interessen haben, ziemlich langweilig ist, blieben wir doch bis 2 Uhr, sodass ich schließlich im Stehen einschlief. Der Saal ist übrigens sehr schön, die Damen waren alle maskiert, sie bestanden meist aus damit-monde, doch waren auch viele Damen der Gesellschaft dort, natürlich maskiert, um sich den Schwindel anzusehen.

Donnerstag morgen um 6 Uhr fuhr ich zur Eisenbahn und dann mit dem Eilzug in 14 Stunden nach Triest, wo ich abends 9 Uhr ankam. Die Fahrt war wunderschön, ein klarer Wintertag, überall Schnee bis nach Graz. Von dort hörte der Schnee auf. Die Fahrt war über den Semmelring, die wunderbare, habe ich zuerst 1855 an einem schönen Herbsttag gemacht und ich erinnere alles genau. Die Gegend, herrliche Gebirgstäler mit schönen Blicken auf die hohen Alpen, bleibt schön bis zum hohen Karst. Doch da war es dunkel und als ich in Triest ankam, regnete es in Strömen. Ich fuhr ins Hotel de Ville und wachte am anderen Morgen, einem heiteren Frühlingsmorgen, auf. Wie schön war es da, auf den blauen Himmel und auf das blaue Meer zu schauen. Ich lief zuerst mit Entzücken auf dem Markt am Meeresstrand umher, wo allerlei seltsame Früchte, Früchte und die schönsten Blumen verkauft wurden, in einem Gewühl von fremden Menschen in fremder Tracht und Sprache. Hier spricht alles italienisch.

Ich ging zu Dr. Brettauer, der mich nicht wieder fort ließ. Zuerst machten wir zusammen Besuche bei Kranken, wobei ich diverse amüsante Bekanntschaften machte, z.B. mit einem ägypt. Bey, der uns gleich auf arabische Weise mit Mocca bewirtete. Dann einer Fürstin Starhemberg, die von Hamburg wunderbare Vorstellungen hatte etc. etc. Dann fuhren wir in einem offenen Wagen auf den Karst, der gleich hinter Triest aufsteigt. Wir fuhren hoch hinauf bis zur Villa des Baron Revoltella (Anm.: Baron Pasquale Revoltella (* 16. Juni 1795 in Venedig; † 8. September 1869 in Triest) war ein Bankier und Unternehmer in Triest, das zur damaligen Zeit der Habsburgermonarchie angehörte), der sich dort ein schönes Mausoleum gebaut hat, mit der herrlichsten Aussicht auf das weite Meer.

Baron Pasquale Revoltella (* 16. Juni 1795 in Venedig; † 8. September 1869 in Triest)

Nach der Rückfahrt um 5 Uhr hatte ich ein ausgezeichnetes Dinner bei Brettauer. Er lebt mit seinen Eltern, beide vortreffliche Leute. Wir haben da einen Fisch, Branzino, dem sich nichts vergleichen kann, was wir bei uns an Fischen haben, und einen alten roten Hungarwein, (menescher), unvergleichlicher Güte.
Alsdann fuhren wir ins Theater, wo (für Triest) das erste Patti-Konzert mit dem Ullmannschen Arrangement stattfand.
Ganz Triest war in dem wunderschönen Theater, welches in seinem heiteren Colorit, heller Beleuchtung und voll der schönsten Frauen in großer Toilette einen reizenden Anblick bot. Wir hatten eine Loge, d.h. Brettauers Eltern, seine Schwester, eine sehr schöne Frau und wir beide. Die meisten hatten, wie mir auch schon in Wien aufgefallen, das Haar weiß gepudert und purpurrote Schals um.
Nach dem Theater gingen wir in ein Café mit mehreren Italienern, Griechen und einem Herrn aus Breslau und blieben in heiterster Unterhaltung bis spät zusammen. Der Breslauer besorgte mir am anderen Tag mein Billett nach Konstantinopel, als guter Kaufmann mit 10% zu meinen Gunsten.

Sonnabend früh machten wir einen Gang auf dem Molo, es war nämlich hoher Festtag, Lichtmess, und ganz Triest war auf dem Molo. Dies ist ein langer Steindamm, mit glatten Quadern belegt, der sich weit ins Meer erstreckt. Zu beiden Seiten liegen die großen Schiffe. Herrlich ist es, in dem dichten Gewühl festlich und bunt gekleideter Menschen unter dem glänzenden Himmel im Sonnenschein zu flanieren.

Um 1 Uhr brachte Brettauer mich an Bord des „Jupiter“. Es ist dies ein schönes großes Schraubendampfschiff, elegant und bequem. Ich habe eine schöne Kabine für mich alleine. An Bord fand ich den preussischen Konsul in V a r n a, Reisser, einen vortrefflichen Mann, den Herr Schroeder gebeten hatte, sich meiner anzunehmen, da er selbst auch nach Konstantinopel geht. Mit ihm ist der pr. Gesandtschaftssekretär. Mit uns sind noch 7 Personen in der 1. Kajüte, aber Griechen. Um 2 Uhr fuhren wir ab. Indem wir uns vom Ufer entfernten, traten allmählich hinter dem Karst und nach Westen gegen Venedig hin, die lange Kette der schneebedeckten Alpen hervor, ein feierliches Schauspiel. Wir fuhren östlich an der dalmatinischen Küste hin, die felsig zerrissen und ohne Vegetation öde und unwirtlich ist. Abends nahm ich die Lektüre des Homer vor, die mir viel Vergnügen macht.
Die Nacht war passabel gut und es folgte ein himmlischer Tag, wie wir ihn selten im hohen Sommer haben, heißer Sonnenschein, gemäßigt durch kühlenden Luftzug, ein glänzend blaues Meer und blauer Himmel. Morgens waren wir noch an der dalmat. Küste bei Lissa, dann kam alles Land außer Sicht. Das Schiff machte 12 Meilen per Stunde. Unsere Beschäftigung besteht darin, auf dem Oberdeck auf und ab zu gehen, im Salon zu lesen und zum großen Teil in Essen und Trinken.
Morgens gibt es Kaffee, um 10 Uhr eine Mahlzeit auf 7-8 Gängen: diverse Fleischspeisen, gute Fische, sehr viel in Öl Eingemachtes, Oliven, Sardinen etc., zum Nachtisch Früchte. Die Äpfel sind zu süß, die Orangen zu sauer. Dazu trinkt man Tee und Wein á discretion, letzterer ein roter Dalmatiner gefällt mir aber nicht.
Um 4 Uhr folgt eine noch längere Mahlzeit aus denselben Bestandteilen und abends gibt es Tee. Ein gewisses Unbehagen, welches ich immer auf Schiffen habe, beeinträchtigt übrigens auch jetzt mein Wohlbefinden.
Meine Begleiter haben mir schon sehr viel vom Orient erzählt. Ich bin begierig, wie es mir dort gefallen wird.

Festung Angelokastro auf Korfu

Morgen früh, den 4. des Monats kommen wir nach Korfu, wo wir 4 Stunden bleiben, die ich nutzen werde, um an Land zu gehen.

Am 5. werden wir die Südspitze Europas – Cap Matapan – umschiffen, Mittwoch kommen wir nach Syra, wo wir anlegen und wahrscheinlich erst am Freitag nach Stambul.
Heute Abend ist im Salon eine fast unerträgliche Hitze, obgleich alle Türen offen stehen, die Luft ist schwül bei klarem Sternenhimmel.

Ägäisches Meer, an Bord des „Jupiter“ 5.2.1867

Markttag auf Korfu
Gestern morgen, als ich erwachte, fuhren wir in den schmalen Meeresarm ein, welcher Korfu-Korcyra vom türkischen Festland trennt. Bald warfen wir im Hafen von Korfu Anker. Ein blauer Himmel war über uns, die Luft himmlisch mild. Die Sonne schien schon morgens warm herab, gegen Mittag gab es tüchtige Hitze. Hell glänzte das blaue Meer und das Licht, welches von allen Seiten zurückstrahlte, blendete das ungewohnte Auge.
Die Küsten sind felsig, nackt, zerklüftet und ohne Vegetation, hier wie überall von Triest bis zum Hellespont, so weit alt-hellenischer Boden reicht. Das Land und die Inseln, deren zahlreiche, oft nur von der Größe eines Hauses, aus dem Meer hervorragen, erscheinen wie die höchsten, unwirtlichen Spitzen eines ins Meer versenkten Gebirges. Nur hier und da in Senkungen des Bodens grünt weniges Gras und dann erheben sich weiße Wohnungen. Über Korfu erheben sich auf 3 Hügeln, von Zinnen gekrönt, altehrwürdige Burgen, von Venetianern erbaut, vielleicht schon von Römern, Griechen und seligen Phäaken (Anm.: Die Phaiaken sind ein Volk der griechischen Mythologie, das nach Homers Odyssee in Scheria lebte, nach den wesentlich später verfassten Argonautika des Apollonios von Rhodos auf der Insel Drepane) gegründet, unter den Engländern stark befestigt, jetzt zerstört, aber höchst malerisch. Wir gingen an Land und betraten zunächst die Stadt, wo ich ins königl. Preiss. Postbüro ging. Es war Markttag und die ganze Insel wie auch das Festland hatten ihre Bewohner zugesandt. Das war eine Maskerade!
Zuerst schon war das Schiff überflutet worden von Strolchen und Gaunern, die ihre Dienste anboten. Konsul Reisser als viel erfahrener Mann hatte die tugendhaftesten ausgesucht, um uns zu begleiten. In der Stadt war ein unbeschreibliches Gewirr von Trachten und Mundarten: Türken im Turban, Albanesen in weißen, zottigen Mänteln, Hellenen von Kopf bis Fuß in Scharlach, Epicoten in Tierfellen gekleidet, dazwischen griechische Soldaten in Uniform. Die Stadt ist altvenetianisch gebaut mit engen Straßen und Bogengängen, alle Gewerbe auf der Straße.
Durch die Straße gingen wir auf den Splanata, den freien Platz zwischen Stadt und Fort, wo am Meer auf hohem Ufer das Schloss liegt, ein schönes Gebäude mit Bogengängen an den Flügeln, durch welche man wie durch einen Rahmen hinab blickt auf den Hafen und hinüber zur Terra firma, wo im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel der Gebirge in den blauen Himmel ragen. Im Schlossgarten wachsen Palmen und eine Fülle üppig blühender Rosen, Geranien und andere Blumen stehen zwischen schlanken Zypressen. Das Land war überall mit frischem Gras und Kräutern bedeckt, die Bäume aber meist noch ohne Laub. Nur die Orangenbäume voll dunklen Laubs und goldenen Früchten. Es war ein Tag wie bei uns im Mai, wenn der Frühling mit jäher Hitze einbricht. Wunderbar war es, so wie im Sommer unter Blumen zu wandeln und den Schatten zu suchen, nachdem ich 4 Tage vorher den strengen Winter gekostet.

Konstantinopel 1905

Am Hafen von Korfu sieht man eine stumpfe Felsenspitze aus dem Wasser ragen, wie ein Nachen gestaltet. Nach der Sage ist es das phäakische Schiff, welches den Odysseus schlafend nach Ithaka gebracht hat vom gastlichen Herd des Alkinous und welches zurückkehrend angesichts des heimischen Hafens von Poseidon aus Rache in Stein verwandelt wurde, da er Odyseus zürnte ob der Blendung seines Sohnes Polyphemos.

Von Korfu nach Syra
Mittags um 1 Uhr verließen wir südwärts steuernd den Hafen von Korfu, Taxos ließen wir rechts (Leukothea), St. Mauro links und liefen ein in den schmalen Kanal, der Cephalonia und Ithaka trennt, der Heimat des göttlichen Odysseus, von der der blasierte Cicero sagte, Odysseus habe es nicht geliebt, weil es schön, sondern weil es sein war.
Ich habe es nur im Dunkeln gesehen, freilich sehr nahe, sodass die Feuer der Ziegen- und Sauhirten in den Abhängen der Berge – denn Ithaka ist eben auch eine von den Bergspitzen – uns deutlich erschienen. Aber ich glaube wohl, dass man diese Felsklippe mit der balsamischen Luft, dem hellen Sonnenglanz und dem lebendigen Meer sehr lieben muss, wenn sie einem Heimat ist. Die Sonne war untergegangen und alle Pfade beschattet. Da setzte ich mich hin und las die unsterblichen Worte von der Irrfahrt und endlichen Heimkehr des Göttergleichen, der viele Menschen gesehen und viele Länder durchwandert – indessen durchzogen wir weiter die feuchten Pfade des dunklen Meeres, die auch er einst durchrudert und derselbe Himmel und dieselben Sterne schienen auf uns herab wie auch auf ihn.

Als wir heute aufs Deck kamen, hatten wir schon am Cap Navarino vorüber Cap St. Gallow umschifft und näherten uns dem Cap Matapan (Anm.: Kap Tenaro auch: Kap Matapan ist die Südspitze der Halbinsel Mani auf dem griechischen Peloponnes. Es stellt den südlichsten Punkt des griechischen Festlandes sowie der Balkanhalbinsel dar und ist nach der spanischen Punta de Tarifa das zweitsüdlichste Kap Festland-Europas), dem südlichsten Ende Europas. Wir befanden uns hier auf dem 36.-37. Breitengrad und es war tüchtig warm, obwohl ein frischer Wind blies. Viele Schiffe mit weißen Segeln begegneten uns hier auf der Heerstraße der Völker. Wir gingen hart am spitzen Grat des Kaps vorbei, welches schroff und spitz ins Meer endet. Man sah dort viele Steintürme, die einstigen Sitze der berühmten Mainoten-Capitanos, Räuber im strengsten Sinn. Dann durchschnitten wir noch das Cap Malea zu der breiten Bucht von Sparta, über welche mit mächtigen Schneegipfeln der Taygetos vorragte. Cythere-Cerigo ließen wir rechts, (der alte Wohnsitz der Aphrodite, Heimat der schönen Helena). Leider ist Cythere ein Felsen der unwirtlichsten Art. Wir wandten uns nordöstlich durchs Meer von Candia und erreichten die ersten Inseln der kleinen Cykladen, den griechischen Archipelagos.

Leuchtturm am Kap Tenaro frisch renoviert (2009)

Heute Abend um 11 erreichen wir Syra, wo wir die Nacht liegen bleiben. Da wir so gute Fahrt haben, kommen wir schon Donnerstag nach Constantinopel. Ich sehne mich herzlich nach Beendigung der Meerfahrt. Die Einförmigkeit ist auf die Dauer unerträglich und das viele Essen und Trinken aus Langeweile vermehrt den Überdruss.

Hauptperson auf dem Schiff: der Doktor Eine Hauptperson auf dem Schiff ist der Doktor, der Schiffsarzt nämlich, ein sehr alter, kleiner Mann mit einem Bauch, krummen Beinen, einen unbeschreiblich gelben Redingote (Anm.: eine Art Mantel) und einer grauen Mütze, die sehr nach hinten geschoben den kahlen Schädel halb bedeckt, einem kleinen, struppigen Schnurrbart, im ganzen Gesicht nur krumme Linien, umgeben von starkem Parfüm von Schnupftabak. Im Profil sieht er einem Papagei mit hängenden Flügeln so ähnlich, dass man ihn im Schattenriss ohne Zweifel für einen solchen halten würde. Seine ärztliche Tätigkeit besteht darin, dass er Brausepulver verkauft und mit unendlicher Hartnäckigkeit jedermann angeht, Reisebücher und Karten zu kaufen, von denen er ein Depot hat. Eine kranke Katze möchte ich ihm nicht anvertrauen.

Der Schiffsarzt, ein sehr alter, kleiner Mann mit einem Bauch, krummen Beinen, einen unbeschreiblich gelben Redingote

Eine Redingote ist eine Art Mantel

In Korfu haben wir vortreffliche Gemüse an Bord genommen, namentlich Blumenkohl von kolossaler Größe, außerdem Schnepfen, für die jetzt hier die Saison ist und die ich bald selbst zu jagen hoffe.

Pera – Constantinopel Hotel de Byzanz 15.2.1867

Am Dienstagabend des 5.2. legten wir spät vor Syra an und es begann ein Ausladen, dessen Geräusch uns die ganze Nacht nicht schlafen ließ. Früh um 6 Uhr fuhr ich deshalb an Land. Syra, das St. Thomas (Anm.: eventuell bezieht er sich auf eine Inselgruppe in der Karibik, die er in seinen Briefen von seiner Reise nach Amerika 180/1 erwähnt) des Archipelagos, ist vor 30 Jahren entstanden und hat schon 50 000 Einwohner. Der Hafen lag voller Schiffe, Strand und Stadt waren voller Leben. Die Stadt bedeckt mehrere Hügel am Abhang des hohen Berges, der die Insel bildet. Die meisten Häuser mit den flachen Dächern haben ein völlig orientalisches Gepräge, so auch das bunte Gemisch der Bevölkerung aus allen Teilen des Orients. Es war ein herrlicher, sonnenheller Morgen.
Um 9 Uhr verließen wir den Hafen, fuhren zwischen Andros und Tinos hindurch, später an Chios und Mytilene vorbei, das Wetter wurde rauer. Als es dunkel war, gingen wir zwischen Tenedos und dem Festland von Asien durch und liefen dann an der trojanischen Ebene hin, auf der Lichter erglänzten, ein in den rauschenden Hellespont, begrüßten die Dardanellenschlösser mit einem Kanonenschuss und als wir am Donnerstag erwachten, waren wir mitten auf dem Marmarameer und es wehte stark, weshalb das Frühstück wenig besucht war. Gegen Mittag verengte das Wasser und vor uns erschienen die Minarette von Stambul. Leider war der Himmel grau und so erschien das wunderbare Panorama, welches sich entwickelte, weniger reizend.
Wir fuhren also zwischen Stambul und Scutari in den Bosporus ein, dann um die Serailspitze herum in das Goldene Horn hinein.

„Alles wunderbar fremdartig“
Es war gerade der 2. Beiramtag und die türkischen Kriegsschiffe schossen aus allen Geschützen. Vor der hölzernen Brücke, die über das Goldene Horn von Galata nach Stambul führt, warfen wir Anker. Zuerst mussten wir die Pratica haben, d.h. die Erlaubnis der Sanitätsbehörde, zu landen. Dann ward das Schiff überflutet von diesen Gaunern, wie sie nur Const. besitzt und es war schwer, sich aus dem Getümmel in ein Kaik (Boot) zu retten, in welchem unsere Gesellschaft, zu welcher in Syra noch ein Baron Sommer aus Livland gekommen war, zur Douane fuhr.
Wenn ihr gesehen hättet, wie dort in einem alten türkischen Dorf untersucht wurde – sehr nachsichtig – von türkischen Beamten in Uniform, während wie hier immer und überall eine Unzahl Müßiger herumstanden, z.B. alte Türken mit Turbanen und langen Pfeifen, so hättet Ihr ein hübsches Stück Orient gesehen.
Sodann kamen die Hamals (bulgarische Lastträger von herkulischer Stärke) und nahmen unser Gepäck auf den Rücken. So zogen wir, eine lange Karawane, hinauf durch Galata nach Pera, welches hoch liegt. Der Weg geht stark bergan, oft in Treppen. Mir fiel zunächst der unergründliche Schmutz in den Straßen auf, die vielen Hunde und das kolossale Menschengewühl, dazu die erbärmlichen Häuser, welche unregelmäßig durcheinander stehen und meist nur hölzerne Hütten sind.
Die große Straße, die durch Galata und Pera zieht und wo die Läden, Hotels etc. sind, hat noch am meisten einen europäisch-asiatischen Anstrich. Das unendliche Gewühl von Menschen wird aber von lauter Individuen hervorgerufen, für welche in Europa der Name fehlen würde. Denn die elendesten Vagabunden bei uns sehen gentiler, die größten Spitzbuben anständiger aus, als die Mehrzahl dieser Bevölkerung. Man glaubt zuerst, unter lauter notorischen Räubern zu sein und immer, wenn mich jemand streifte, glaubte ich schon das Eisen zu fühlen, mit dem er mich umbringen wollte. Aber man gewöhnt sich daran.
Wir zogen als nach Pera hinauf, ein Hamal trug meinen großen, schweren Koffer auf dem Rücken im Trab hinauf, ½ Stunde weit. So kamen wir ins Hotel de Pesth, wo wir sehr schlecht logiert wurden bei einem ungarischen Emigranten. V. Sommer und ich in einem, Consul Reisser in einem anderen. Wir gingen sehr bald aus, um etwas zu sehen und zwar über die Brücke hinüber nach Stambul, wo wir den Hof einer Moschee betraten. Alles wunderbar fremdartig. Eine Mannigfaltigkeit der Trachten und Physiognomien, die nicht zu beschreiben ist. Alle Welt, nur nicht die Franken, trägt das rote Fez, die Alt-Türken Turbane, die Perser hohe, schwarze Mützen aus Filz, die Derwische braune, die griechischen Popen hohe, schwarze Turbane, die Tscherkessen Bienenkörbe von Schaffell. Viele reiten, nur wenige fahren, namentlich die türkischen Frauen und zwar im bunten, wunderbaren Glaskasten. Neger sieht man sehr viele.

Const. hat jetzt 1 350 000 Einwohner und dazu strömt täglich eine Menge Volk in die Stadt. Es ist unmöglich, eine Beschreibung des Bildes zu geben, welches dem verschiedenen Aussehen der Menschen, ihrem Kostüm, ihren Tun und Treiben auf den Gassen resultiert so wenig, als man ein Bild des Kaleidoskop beschreiben kann. Es ist eben der Orient und den kann man sich nicht vorstellen. Man muss ihn erleben.
Der Hof der Moschee ist von Arkaden umgeben in maurischem Stil, im Hof ein Brunnen und ungeheure Platanen. In ihm hat eine Horde Tscherkessen (Anm.: Die Tscherkessen oder auch Zirkassier sind ein kaukasisches Volk, die sich selbst Adyge nennen, wovon wiederum die Bezeichnung Adygejer abgeleitet ist. Die Tscherkessen sind an der Namensgebung der russischen Republiken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien und Kabardino-Balkarien beteiligt gewesen) ihr Lager aufgeschlagen, mehrere hundert Mann, die da ganz leben. Außerdem wimmelte es dort von einer ganzen Mustersammlung von Krüppeln, Blinden und Elenden jeder Gattung.
Über die persönliche Sicherheit will ich bemerken, dass man am Tag gut überall hingehen kann, abends durchaus nicht nach Stambul und in Pera nur in die Hauptstraßen.
In Wien hatte mir Prof. Stellweg eine Karte an den österreich. Spitalarzt Dr. Schwarz hier aufgegeben. Als ich nach ihm fragte, sagte man mir, dass er vor 14 Tagen auf der Straße erschossen worden sei. Man weiß natürlich nicht, von wem.
Am Abend wurde das Hotel uns so zuwider, dass v. Sommer und ich auszuziehen beschlossen und zwar sofort. Es zeigte sich aber, dass unser Gepäck nicht mehr transportiert werden konnte, weil die Polizei abends dergleichen nicht gestattet.

Wir brachten eine elende Nacht zu und am anderen Morgen quartierten wir uns um, in das Hotel de Bycance, welches wahrhaft ausgezeichnet ist. Die Einrichtung ist luxuriös, déjeuner und dinner splendid, Bedienung musterhaft, wie hier überall, wo für jede Dienstleistung, die bei uns einen Mann erfordert, wenigstens 10 angewandt werden. Man nimmt hier nur 2 Mahlzeiten täglich, déjeuner um 10 und Dinner um 6 Uhr abends, beides sehr ausführlich. Nach dem Dinner nimmt man den Café im Lesezimmer vor dem Kaminfeuer. Alle Zimmer und Treppen sind mit dicken Teppichen belegt. Geraucht wird hier überall und von jedem und zwar Papierzigaretten. Kaffee trinkt man den ganzen Tag aus ganz kleinen Tassen mit dem Bodensatz darin. Wenn man 10 Visiten macht, kann man sicher sein, 10 mal Kaffee zu bekommen. Das einzige, was in unserem Hotel schlecht ist, ist der Wein.
Das Leben hier ist sehr teuer. Für 2 möblierte Zimmer verlangt man z.B. 100 M per Monat.

Vor dem Palast des Sultans
Am Freitag nahmen wir den Dragoman und gingen aus, den Sultan zu sehen. Es war der letzte Beiramtag und um 12 Uhr ritt der Sultan mit großem Gefolge in die Moschee. Wir stellten uns an der Palastpforte auf. Notabene der Sultan wohnt nicht mehr im Serail, welches abgebrannt ist, sondern in einem neuen Palais auf unserer Seite, am Eingang des Bosporus. Nur die Pforten des Palais sind schön, in maurischem Stil. Es war viel Volk versammelt, ihn zu sehen, auf einer Seite der Straße die Frauen, auf der anderen die Männer.

Wahrscheinlich handelt es sich beim nicht namentlich erwähnten Sultan um Abdülhamid II. * 21. September 1842 in Istanbul; † 10. Februar 1918 ebenda) war vom 31. August 1876 bis zum 27. April 1909 Sultan des Osmanischen Reiches.

Wir blieben auf der Frauenseite und hatten so Gelegenheit, eine Menge türkische Frauen zu betrachten. Alle sind sehr bunt in gelbe, gestreifte oder rote Seide gekleidet und haben weiße Schleier um das Gesicht, die nur die Augen frei lassen, aber völlig durchscheinend sind. Alle haben einen sehr schönen, weißen Teint, schwarze Augen und schwarz gefärbte Brauen, sehen also interessant aus. Viele sind sehr schön, viele auch schwarz. Es ist nicht erlaubt, stehen zu bleiben und sie anzusehen. Unser Dragoman gab ein Zeugnis griechischer Schlauheit. Ein Polizeisoldat bedeutete uns, auf die andere Straßenseite zu gehen. Wir verstanden den Wink natürlich nicht, worauf er dem Dolmetscher bedeutete, er möchte uns sagen, wir möchten fortgehen, worauf dieser mit kläglicher Stimme antwortete, das könne er nicht, denn wir wären zu vornehm, als dass er uns solches zumuten könne. So behaupteten wir unseren Platz. Viele bunte Glaswagen voll vornehmer Türkinnen fuhren umher.

Vor dem Harem des Sultans
Der Teil des Palastes, der den Harem enthält, hat keine Fenster zur Straße hin, nur eine sehr hohe, nackte Mauer, darin ein fest verschlossenes Tor. Dieses tat sich auf und heraus kamen 3 prachtvolle Equipagen, in jeder 3 – 4 phantastisch gekleidete sehr schöne Frauen.
Die Wagen umringt von Eunuchen zu Pferd. An der Pforte lagerten weitere 30 – 40 Eunuchen, meist schauderhaft dicke, schwarze Nubier. Diese schwangen sich nun auch auf Pferde und fort ging es en pleine carriére mit den Wagen. Zuletzt kam eine ganz vergoldete Kutsche, in der die Favorit-Sultanin saß. Später kam von anderer Seite her der Sohn des Sultans zu Pferde mit buntem Gefolge, ein Knabe von 7 – 8 Jahren in Oberst-Uniform. Er stieg vom Pferde in eine Equipage um.

Endlich kam die Garde, 3 Bataillone, jedes mit Janitscharenmusik voran. Die Garde trägt grüne Turbane, rote Hosen. Mittlerweile hatten sich alle Minister, Paschas usw. am Palasttor eingefunden mit einer Masse der wunderbarsten arabischen Pferde und in reichster Uniform. Als die Garde vorbei war, setzten sich alle in Bewegung, das Tor tat sich auf und der Sultan selbst ritt als der Letzte zu Pferde langsam vorwärts, umgeben von Negerknaben. Kurz, der ganze Maskenapparat, den wir in der Oper bei ähnlichen Aufzügen zu bewundern haben, entwickelte sich hier. Der Sultan ritt ein prachtvolles Ross. Er blickte weder nach rechts noch nach links, nicht einmal nach seinem Sohn, als er ihn passierte. Übrigens ist er ein schöner Mann mit vollem, schwarzen Bart.

Später gingen wir in ein echt türkisches Café und tranken Kaffee und rauchten eine Nargileh. Viele Soldaten waren dort, die sich während sie tranken und rauchten, den Kopf rasieren ließen, sodass nur ein Büschel Haare auf dem Scheitel stehen bleibt. Auf dem Rückweg ereilte uns ein tropischer Regenguss, sodass wir uns umkleiden mussten. Wir gingen dann in die Moschee der tanzenden Derwische.

Ein türkischer Derwisch (mit Tabar Zin und Bettelschale) in den 1860ern, Gemälde von Amedeo Preziosi

Das ist das merkwürdigste, das ich gesehen. Die Moschee hat eine Rotunde, in den Arkaden rundherum stehen die Zuschauer. In der Rotunde drehen sich lautlos, immer auf demselben Fleck, wie Kreisel die Derwische, in langen, blauen Gewändern und spitzen grauen Hüten, die Arme ausgebreitet. Die Gewänder bilden bei der Drehung ein Rad um sie. Es ist unheimlich zu sehen, wie der ganze Raum angefüllt ist von lautlos wirbelnden Figuren der blauen Kreisel so dicht, dass eben der eine den anderen nicht berührt. Dazu ertönt eine wunderbare, eintönige, fast berauschende Musik und zuweilen ein höchst misstönender, näselnder Gesang. Die Kerle drehen sich so lange, bis sie ohnmächtig werden.

Im türkischen Bad 1
Am Abend gingen v. Sommer und ich früh ins türkische Bad. Es ist ein großer, offener Raum, nach der Straße zu mit Galerien und Divans, wo man sich auskleidet. Dann geht man in Tücher gewickelt in einen geräumigen, schönen Kuppelbau von weißem Marmor, der ein schönes, durch kleine Löcher einfallendes Licht hat. Dort ist es sehr warm und aus vielen Öffnungen strömt kaltes und warmes Wasser ins Bassin. Man sitzt dort auf den Marmorbänken, schwitzt, begießt sich beliebig mit kaltem oder warmen Wasser, wird geseift, auch rasiert. Endlich geht man wieder hinaus, legt sich auf den Divan, in Leinen gewickelt, bekommt Kaffee und Tschibuk. Während wir da lagen, kam die Stunde, wo die Frauen baden. Dieselben sammelten sich ganz ungeniert in dem Raum an. 2 schöne, junge Armenierinnen nahmen von dem Platz neben uns Besitz. So waren wir genötigt, in ihrer Gegenwart aufzustehen und uns anzuziehen.

Graefe hat mir unter anderem einen Brief an einen hiesigen Kaufmann, Isailoff, gegeben und ich hatte denselben am Freitag zu ihm geschickt. So kam Herr I. nun zu mir ins Hotel und erbot sich mir zum Führer. Er ist Levantiner oder Perote, d.h. von einen unbestimmbaren Nationalitätenmischmasch, wie er sich hier so viel findet (Anm.: Als Levantiner galt bis zum 19. Jahrhundert auch, wer von gemischter, europäisch-orientalischer Abkunft war. Speziell wurden in der Levante geborene und erzogene Abkömmlinge von europäischen Männern und orientalischen Frauen so bezeichnet, gedanklich verbunden mit deren sozialökonomischer Sonderrolle in den Handelsstädten des Orients als Kaufleute und Vermittler zwischen dem Orient und Europa).
Er ging mit mir nach Stambul hinüber zum Bazar, d.h. den großen, bedeckten Kaufhallen, wo alle Schätze des Ostens und Westens gelagert sind und zur Schau stehen. Was für prachtvolle Sachen habe ich dort gesehen, besonders an Stickereien und an Fußzeug. Interessant ist das Lager von Antiquitäten aller Art, Waffen, Uhren, Porzellan etc.
Wir machten dann eine Fahrt per Dampfboot ans Ende des Goldenen H. (Anm.: das Goldene Horn. Das Goldene H. ist ein ca. 7 km langer Meeresarm am Bosporus in Istanbul), wo auch die Stadt endet, ruderten hinüber nach unserer Seite und gingen durch einen herrlichen Friedhof am Abhang des Peraberges nach Hause. Die türkischen Kirchhöfe sind Zypressenwälder, in denen Leichensteine den Boden bedecken. Diese Wälder in und um die Stadt sind sehr malerisch.

Abends waren v. Sommer und ich in der ital. Oper. Das Theater ist recht schön und die Aufführung der „Traviata“ war nicht übel. In den Logen viele schöne Frauen, meist Levantinerinnen. Die Loge des Sultans war mit einem Schleier verhangen, dahinter sah man 2 Frauengesichter.

Am Sonntag morgen kam Herr Isailoff und wir setzten uns zu Pferde und ritten nach Stambul und dann etwa 1 Stunde weit durch die Türkenstadt nach dem Palais des Grosswesir Mahomet Ronoti Pascha. Die Pferde gehen merkwürdig sicher auf diesem Gewölbe von Steinblöcken, welches das Pflaster vorstellt und auf den Wegen, die oft so steil sind, dass man Treppen gemacht hat, immer in einem kurzen Galopp. Trab kennen sie nicht. Die Reise durch Stambul ist fabelhaft. Man verliert oft Weg und Steg, muss Moräste umreiten oder man findet wüste Brandstätten, wo der Schutt den Weg versperrt. Endlich kamen wir an das Palais, ein enorm großes, hölzernes Gebäude.

An der Treppe wurden wir von etwa 30 Dienern empfangen, die die Pferde nahmen. Wir gingen die Holztreppe hinauf und wurden in ein geräumiges Gemach geführt, halb türkisch, halb europäisch möbliert. Es waren noch diverse Türken da. Kaum hatten wir uns gesetzt, brachten Diener Kaffee und den üblichen Tschibuk (Anm.: eine Tabakspfeife, die aus einem deckellosen, kleinen, aber breiten Tonkopf, einem Rohr und einem Mundstück bestehet.). Sodann wurden wir gebeten, eine Treppe höher zu steigen. Überall zahllose Dienerschaft. Dort kamen wir in einen großen Saal, der eleganter mit Teppichen ausgestattet war. Dort saßen viele vornehme Türken, z.B. auf dem Diwan der Oberpriester in weißem Turban, mit langem, weißen Bart und der Feierlichkeit wegen mit 2 Pelzen übereinander, außen ein sehr weiter Pelz aus schwarzem Zeug und gelbem Fell, darunter ein anderer von blauer Seide mit grauem Fell. Auch er versehen mit 8 Fuß langem Tschibuk.

Beim Großwesir war gerade der Kriegsminister, deshalb mussten wir lange warten. Nachher kamen 2 andere vor uns herein, bis ich den diensthabenden Offizier mit meiner Karte hineinschickte. Darauf ließ er mir sagen, ich möge warten, bis die anderen fort seien, er wolle mich allein sprechen. Alle Anwesenden wurden dann zu einen en bloc Autienz hingelassen und als dies beendet war, wurden wir hineingebeten. Man führte uns über einen Vorsaal zu einem Vorgang. Dieser wurde geöffnet und man sah in einen Saal, an dessen Ende die 3 üblichen Diwans standen, in der rechten Ecke des mittleren saß mit untergeschlagenen Beinen Sr. Hoheit, auf dem Diwan rechts davon Vefek Pascha, früher Gesandter in Paris. Ich ging auf Sr. Hoheit zu, welche sich erhob, mir 3 Schritte entgegen kam, mir die Hand reichte, und mich auf den Diwan links zu sitzen nötigte. Er las den Brief von Graefe und es begann eine Unterhaltung, während welcher Kaffee und Tschibuk gereicht wurden, was angesichts Sr. Hoheit eine große Ehre ist. Die Bernsteinspitzen dieser Tschibuks waren mit Juwelen besetzt, die kleinen Tassen von Gold mit eingelegten, kleinen Porzellanbildchen und mit Perlen und Edelsteinen besetzt. Nach einer Weile sagte mir Sr. Hoheit, wir würden uns bald wiedersehen, und ich verabschiedete mich mit Handreichung. Der Dienerschaft unten wurde eine Summe Gelder verabreicht, wie hier üblich.

Wir ritten dann auf endlosen Pfaden durch die Stadt zum Salik Bey, welcher nicht zu Hause war. Dann zurück nach Pera zu Herrn I. Haus, wo er mich seiner Frau vorstellte, einer sehr schönen Griechin. Dort blieb ich einige Stunden. Abends ging ich mit v. Sommer ins französische Vaudeville-Theater, wo ein toller Unsinn gespielt wurde. Das Theater ist recht groß und hübsch.

Montag morgen ging Herr I. mit mir zu einem hiesigen Maler Prezzosi, der sehr hübsche Aquarelle von hiesigen Gegenden, Trachten etc. machte und dabei eine herrliche Sammlung von Antiquitäten, aber nicht Antiken, hat. Dann liefen wir herum, eine Wohnung zu suchen. Später machte ich diverse Besuche bei Landsleuten. In den nächsten Tagen besuchte ich alle, an die ich Briefe habe und habe manche vortreffliche Leute gefunden, auch liebenswürdige Frauen. Ich bin aber nicht genug orientiert, um über die Persönlichkeiten, mit denen ich hier leben werde, schon schreiben zu können. Erwähnen will ich nur den Buchhändler Köhler aus Altona, einen biederen Holsteiner, eine Art von Patriarch bei den hiesigen Deutschen, dann den jungen Dr. Mordtmann, Arzt, der mich gleich aufsuchte und anspruchslos und angenehm ist.

Dienstag morgen hatte ich einen Besuch von Salik Bey, machte dann Besuche bei den Kaufleuten, die ihre Stores fast alle in Stambul haben in den Khans. Wir consultierten auch einen Hausmakler, der in einer Bude an der Perastrasse sein Geschäft betreibt und sahen diverse Wohnungen. In einer, welche unbewohnte war, wurde ich übersät mit Flöhen. Mein Stubengenosse v. Sommer reiste ab.
Statt seiner habe ich im Hotel einen Herrn aus Beirut gefunden, der von allem etwas ist, am meisten Engländer, und mit dem ich nach dem Dinner Schach spielte.
Donnerstag fuhr ich mit Herrn I. nach Skutari mit einem Dampfer und betrat dort zuerst asiatischen Boden. Wir ritten im Galopp einen steilen Hang hinauf zur Moschee der tanzenden Derwische. Die Moschee ist klein und schmutzig. Fabelhaft das Geheul der Derwische, welche zum einförmigen Schlag der Pauken so lange in einförmigen Cadenzen heulen, wobei sie sich im Takt vor- und rückwärts beugen, bis sie wie tot hinfallen. Wir mussten in Strümpfen das Heiligtum betreten. In einem Kaik fuhren wir zurück zum Palais des Sultans, welches hart am Wasser liegt und von dieser Seite prächtig aussieht. Von dort stiegen wir eine Höhe hinauf über Pera, Bellevue genannt, wo die ganze Noblesse von Pera (Anm.: Pera war der Name eines Stadtteils von Konstantinopel. Er lag nördlich des Goldenen Horns im europäischen Teil der Stadt. Heute ist der Ort Teil des Stadtbezirks Beyoğlu von Istanbul.) Promenade machte. Man sah schöne Equipagen, Damen zu Pferde und alle perotischen Schönheiten in neuester Pariser Toilette, tout comme chez nous. Ich muss bemerken, dass wir hier das herrlichste Wetter haben, stets blauer Himmel, kurz den schönsten Frühling.

Heute Mittag schickte mir Salik Bey einen Diener und Pferde und wir ritten den östlichen Abhang des Peraberges hinan durch den Zypressenwald. Man glaubt, dort in der Schweiz zu sein, so steil die Abhänge, so beschwerlich die Pfade. Vor sich hinab sieht man auf das Goldene Horn mit seinem bunten Leben, zahlreiche Kaiks, unzählige Schiffe, türk. Fregatten mit dem flatternden Halbmond, jenseits Stambul mit seinen weißen Moscheen, zierlichen Minarets, alles in glänzendem Sonnenlicht und darüber blauer Himmel. Wir ritten fast 1 Stunde in Stambul hinein, durch wunderliche Gassen, durch Einöden, an Moscheen vorbei, endlich kamen wir an das Haus, echt türkisch aus Holz mit dicht geschlossenen Fenstern (durch Holzjalousien). Wieder zahlreiche Dienerschaft. In der 1. Etage ein Vorhang, dahinter das Zimmer mit den 3 Diwans (das alte Turkomanenzelt), auf dem mittleren saß Sr. Excellenz, alles wie beim Großwesir, dann Kaffee, Tschibuks etc.

Seit einigen Tagen haben wir ein neues Ministerium. Mein Freund, Ronoti Pascha ist Kriegsminister. Über die Candiageschichte hört man viel Widersprechendes: In Pera (Griechen und Levantiner) hofft alles auf Sieg der Insurgenten. In Syra sah ich im Hafen den „Panhellenion“, ein griechisches Schiff, welches mit großem Glück und Geschick schon 10 mal Waffen, Munition und Kämpfer zugeführt hat.
Sobald ich erst eine Wohnung habe, werde ich, wonach ich mich schon sehne, meine ärztliche Tätigkeit beginnen, wozu ich viel Gelegenheit haben werde. Einen griechischen Diener habe ich schon.

Pera, 23. Februar 1867

Am Sonnabend besuchte ich den preuss. Gesandten, Graf Brassiere St. Simon, welcher mit großer Liebenswürdigkeit mir alles mögliche zur Verfügung stellte und mich mit seinem 1. Dragoman Dr. Busch, bekannt machte. Nachher kam ein Offizier von Polizeiminister Mehmed Pascha, der mich bat, zu diesem zu kommen. Ich ging also dort hin. Auf dem Ministerium war alles in großer Verwirrung und ich erfuhr, dass Mehmed Pascha soeben einen Schlaganfall erlitten habe und schon verschieden sei. Er ist 105 Jahre alt geworden und bei der Arbeit in seinem Büro gestorben, gerade als ich auf dem Weg zu ihm war.

Nachher betrachtete ich von außen die Sophienkirche, welche mich im Äußeren nicht von den anderen Moscheen unterscheidet und ging in den Gärten des alten Serails umher. Dies sind Terrassen die an der Spitze des Dreiecks, auf dem Stambul liegt, zum Wasser abfallen und mit Zypressen bewachsen sind. Es ist ein Gewirr von alten Gebäuden und Gemäuer, da gerade hier auch das alte Byzanz gestanden hat. Auch war ich in der „Hohen Pforte“, dem enorm weitläufigen Regierungsgebäude, in welchem die meisten Ministerien sind. Auf den Höfen und Korridoren daselbst waren tausende von Menschen gelagert, die mit türkischer Geduld die Erledigung ihrer Angelegenheiten erwarteten.

Sonntag war ich zu Herrn Helbing aus Hamburg eingeladen, welcher auf dem Lande, in Kadi Koy wohnt. Dies liegt in Asien auf der Spitze, die durch den Bosporus und das Marmarameer gebildet wird. Der junge Dr. Mordtmann holte mich morgens ab und wir fuhren mit einem Kaik über den Bosporus. Leichte Nebel lagen auf dem Wasser, in dem Scharen von Delphinen sich tummelten, umkreist von den wunderlichen Vögeln, die man les ames damnées nennt wegen ihres raschen, geräuschlosen Flugs über das Wasser hin.
Die Fernsicht über das Marmarameer zu den Prinzeninseln hin, die wieder von dem schneebedeckten Olympos überragt wurden, war entzückend. Wir landeten von der Seite des Marmarameers und hatten dann eine Strecke zu gehen, da Herr Helbings Haus an der Bosporusseite, hart am Wasser liegt, gerade gegenüber von Stambul. Wir gingen durch manche Gärten mit hübschen Villen. Herr Helbing hat eine sehr angenehme deutsche Frau und wir hatten es sehr behaglich. Wir aßen bei offenem Fenster, vor uns ganz Stambul, eine Aussicht, die in der Welt einzig ist. Die Austern, die wir aßen, wurden vor unseren Augen unter den Fenstern gefangen. Nachher saßen wir unten am Strand vor einem Café, tranken Sorbet und rauchten Nargileh, bis das Dampfboot uns aufnahm und nach dem Goldenen Horn zurück brachte. Die Sonne ging hinter Stambul unter und färbte den Himmel goldgelb, während die Moscheen und Minarets sich dunkel gegen den Himmel abhoben. Als wir an der Brücke landeten, war gerade eine Feuersbrunst in Stambul, dicht am Wasser, ausgebrochen. Einige Spritzen wurden von je 40-50 halbnackten Kerls in schnellstem Lauf und mit Geheul über die Brücke getragen. Gerade hinter dem Feuer erhob sich eine weiße Moschee, welche mit ihren Minarets glänzend hell beleuchtet, wunderbar aus dem schwarzen Hintergrund hervortrat.

Als ich zurück durch den Zypressenhain nach Pera hinauf ging, schien der volle Mond durch die dunklen Bäume, ein Bild ebenso friedlich schön wie das andere schauerlich.
Dienstag zum Dinner Einladung bei Graf Brassier, wo die Beamten der Gesandtschaft, der Gesandtschaftsarzt und der spanische Gesandte waren. Brassier lebt als garcon und es war sehr heiter und amüsant. Nach dem Essen gingen wir alle in das franz. Theater, wo während der Vorstellung Feueralarm entstand, sodass plötzlich das ganze Parterre Hals über Kopf hinausstürzte, was von unserer Loge sehr komisch aussah. Nachher kam das Publikum wieder und es wurde weiter gespielt.
Am Mittwoch morgen verließ ich das Hotel und bezog meine neue Wohnung, Rue Derwisch, dicht an der großen Perastraße. Diese Wohnung ist nur mit Rücksicht auf die Patienten gewählt. Für mich ist sie entsetzlich, weil ich nur auf Mauern sehe, weder Sonne noch Mond hineinscheint und schlechte Luft im Haus ist. Aber es ist nichts anderes zu haben, wenn man nicht sehr hoch oder weit abseits wohnen will. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mir so bald wie möglich eine Landwohnung zum wohnen zu nehmen und die Stadtwohnung nur für die Praxis zu benutzen. Doch sagt man, dass man nicht vor Mai aufs Land ziehen kann. In der Tat hat sich das Wetter geändert. Es ist ein heftiger Nordwest eingetreten, der uns Kälte vom Schwarzen Meer zuführt. Also am Mittwoch habe ich mich häuslich eingerichtet mit meinem Diener, die Zeitungen haben meine Ankunft mitgeteilt und dass ich täglich von 10 bis 2 Uhr zu Hause sein werde.

Donnerstag morgen nahm ich ein türk. Bad, hatte dann einige Patienten, die mir viel Zeit nahmen. Endlich, um Luft zu schöpfen, nahm ich mir ein Pferd und machte einen 2 stündigen, scharfen Ritt, nördlich am Bosporus hin durch einige türk. Dörfer und an zwei reizenden Kiosks des Sultans vorbei. Der Weg führte sehr steil bergan, bergab und war oft sehr schlecht, aber es ist sehr merkwürdig, wie die hiesigen Pferde en pleine carriére auf den schändlichsten Wegen und die steilsten Höhen hinaufgehen, nur bergab langsam und vorsichtig. Ich hatte herrliche Aussichten auf den Bosporus, es war aber kalt.

Pera, 1. März 1867

Hekim Baschi – der große Arzt
Am Freitag war ich zum Dinner bei Herrn I., welches sich durch seine Länge und durch die Güte der Fische, Austern, Hummern usw. auszeichnete.
Am Sonnabend wurde ich zu einem Pascha nach Stambul geholt. Wir ritten, da der Führer den Weg selbst nicht recht wusste, volle 2 Stunden bis zu seinem Konak (Anm.: Konak stammt aus dem Türkischen und hat die Bedeutung „Ort, an dem man sich niederlässt“, insbesondere auch: ein herrschaftliches Anwesen, Herrenhaus). Das Wunderbare dieser Stadt frappiert immer wieder aufs Neue, sobald man in sie hinein kommt, dies Gewirre von Ruinen und Hütten, Moscheen, Gräbern und Gärten. Endlich ritten wir in den Palast unserer Bestimmung und fanden wie üblich, den Pascha im Selamik (Salon). Derselbe enthält Divans an 3 Seiten, an der 4. 2 Türen und dazwischen eine Nische, worin eine Pendüde (Anm.: ?) und Nippsachen stehen, sonst nur ein Teppich und in der Mitte des Zimmers ein Kohlenbecken. Statt der Türen sind Teppiche vorgehängt. Das Ganze stellt ein Zelt vor, auch liegen kleine Kissen am Boden für die, die lieber auf der Erde sitzen. Die Divans (sic!) sind sehr hoch und bequem, besonders wenn man die Beine hinaufzieht. Kommt man ins Zimmer, so geht man direkt auf den zukömmlichen Platz zu, den man kennen muß. Für mich als Hekim Baschi (d.h. großer Arzt), ist es außer beim Grosswezir der Platz rechts oben. Dann erst, wenn man sich gesetzt hat, begrüßt man jeden einzeln, zuerst den Hausherrn, indem man mit der rechten Hand auf den Boden greift, sie dann an den Mund und die Stirne führt, was jeder einzelne erwidert. Gesprochen wird nicht. Sodann treten gleich die Diener mit Pfeifen und Kaffee an. Die Diener sind häufig schwarz, mit roten Röcken bekleidet.

Sonntag fühlte ich mich sehr schlecht, da ich in meiner neuen Wohnung noch keine Nacht wegen des Gestanks im Haus schlafen konnte. Da ich nach frischer Luft hungerte, holte ich mir den jungen Dr. M. zu einer Fahrt auf dem Bosporus. In einem Kaik (Als Kaik werden verschiedene Schiffstypen der Levante und des Schwarzen Meeres bezeichnet) fuhren wir in den Bosporus hinein, am europ. Ufer hin bis Bebek. Das Ufer an beiden Seiten ist dicht besetzt mit Häusern, Villen, Palästen, eine direkte Fortsetzung der Hauptstadt. Da die Ufer ziemlich steil sind, dazwischen aber zahlreiche Täler ausmünden, ist das Bild sehr mannigfaltig. Hinter Bebek erheben sich auf beiden Seiten die uralten Türme Rumili Hissar und Anatoli, dort wo Xerxes die Brücke schlug.
Wir stiegen in Bebek aus, gingen in den Garten des Ägypters, der hier einen Palast hat. Der Garten zieht sich den Berg hinauf und ist sehr hübsch angelegt von deutschen Gärtnern. Zahlreiche Blumen, die jetzt bei uns in Treibhäusern blühen, blühen dort im Freien.

Bebek 1872 aus der Sicht von Jan Matejko.

Da ich fürchtete, in dem Gestank meiner Wohnung Typhus zu bekommen, hier keine Seltenheit, zog ich es vor, noch eine Wohnung für die Nacht zu nehmen und zwar in dem Haus, wo Dr. M. wohnt. Aus meinem jetzigen Schlafzimmer sehe ich hinaus in den Garten des Kapuzinerklosters, von den Klostergebäuden umgeben, wo die alten, langbärtigen Mönche fleißig Gemüse anbauen und Hühner und Gänse ziehen. Die Glocke des Klosters läutet fast stündlich mir in die Ohren, sonst ist es aber still und friedlich, das reinste Idyll. Aus dem Wohnzimmer blicke ich in den mit immergrünen Bäumen bepflanzten, von Singvögeln belebten Garten der franz. Gesandtschaft. Die Luft ist rein und frisch. Im Hause ist eine gelungene Wirtschaft. Die Padrona ist eine alte Italienerin, welche den ganzen Tag im Hauptzimmer des 1. Stocks auf dem Divan sitzt und Zigarren raucht. Dabei sorgt sie vortrefflich für ihre Hausgenossen. Bisher war Dr. M. Der einzige.

Dienstag hatte ich diverse Kranke. Abends war ich bei einem deutschen Arzt, Dr. Türk, in echt deutscher Familie. Kurz, nachdem ich nach Hause gekommen, fand ich auf der Straße, 20 Schritt von meiner Wohnung, ein Kampf zwischen einer Räuberbande und türk. Cawassen statt, wobei 3 erschossen und mehrere verwundet wurden.
Mittwoch nach der Sprechstunde ging ich mit Dr. M. nach Stambul und sah dort das alte Forum mit der verbrannten Säule, d.h. geschwärzt durch viele Feuersbrünste. Dann den Hippodrom. Ein alter Pfeiler und das kupferne Schlangengewinde, das den Fuß des delphischen Dreifuß bildete, stehen als letzte Reste einstiger Pracht und Größe. Jetzt ist die prächtige Achmed-Moschee zum Teil auf dem Platz gebaut. In ihren Höfen war eine Art Markt, besonders von Früchten, dabei echt türk. Publikum, beladene Kamele, kurz ein schönes Stück Orient. Enorme Platanen geben Schatten. Eine besonders große, die total hohl war, hatte sich ein Türke zu einem Zimmer verwandelt, mit Goldtapeten austapeziert, mit allerlei Gegenständen verziert und mit einem Teppich ausgelegt. Mit untergeschlagenen Beinen saß der Türke in der Öffnung, mit Turban und Tschibuk und fühlte sich offenbar sehr wohlhabend und komfortabel. Dann sahen wir die alten Zisternen des Constantin, enorme unterirdische Gewölbe, von vielen hundert Säulen getragen, 80 Fuß hoch, 3 Schiffe nebeneinander, durch Säulenreihen getrennt, ein fabelhaftes Wunder der Welt. Über diesen Zisternen hat eine Feuersbrunst gewütet, es liegen dort Schutthaufen, von denen hie und da ein Schacht in die Tiefe führt und Licht in diese fallen lässt.

„Zisternen des Constantin – ein fabelhaftes Wunder der Welt“

JM

Donnerstag, den 28. Februar wurde ich zum Direktor des Arsenals geholt, ins Selamik geführt. Nach den gewöhnlichen Zeremonien wurde ich auf die andere Seite des Hauses gebracht, um eine der Frauen zu sehen. Auch dort ist der Selamik wie auf der Männerseite. Aus diesem wurde ich in ein Nebenzimmer geführt, welches kleiner war und nur an einer Seite einen Diwan, außerdem ein Mangal (Kohlenbecken) und sehr viele Nippsachen enthielt. Vorhänge und Überzüge aus gelbem Atlas. Auf dem Diwan saß mit untergeschlagenen Beinen, in blassrosa Seite gekleidet, um das Gesicht einen dünnen Schal, der nur die Augen frei lässt, eine junge Frau. Die Schönheit der türkischen Frauen besteht in dem weißen Teint, dem schwarzen Haar und ebensolchen Augen. Die Fingernägel sind gelbrot gefärbt mit Henna. Die Kleidung ist schwer zu enträtseln. Es ist, als ob die ganze Person in ein Stück Zeug gewickelt sei und zwar Arme und Beine für sich. An den Füßen tragen sie gelbe Pantoffel. Es drängten sich bald noch andere Frauen ins Zimmer, weiße und schwarze, da die Türkinnen sehr neugierig sind. Da meine Nase sehr empfindlich ist, so störte ein unverkennbarer Knoblauchgeruch aufs unangenehmste die poetischen Illusionen.
Zunächst weigerte sich die Patientin, auf Fragen zu antworten. Sie wollte wissen, ob ich ihre Krankheit entdecken würde, was ja keine Kunst sei, wenn sie sie mir angäbe. Ich untersuchte sie also, fand, dass ein Auge schlechter sah als das andere und stellte sie somit zufrieden. Nachher kam noch eine ganze Heerschar von Verwandten, welche die Gelegenheit benutzen wollten, ihre Augen von dem Hakim Baschi besehen zu lassen.
Als ich die obige Dame nach ihrem Alter fragte, sagte sie, das wisse sie nicht, da sie als Sklavin nach Konstantinopel gekommen sei.

Versorgung von Bedürftigen
Sehr viele Kranke habe ich noch nicht gesehen. Zweimal wöchentlich dienstags und freitags von 2-4 Uhr empfange ich Arme, von denen relativ am meisten kommen. Andere fürchten teils die Kosten, teils die Schmerzen. Man ist hier nicht gewohnt, mit Ernst etwas für die Gesundheit zu tun, denn man hat, und das mit Recht, kein Zutrauen zum Arzt. Gewöhnlich nimmt man 2-4 zu gleicher Zeit, tut aber nicht, was sie anordnen. Auch sind eben schlechte Zeiten, alles liegt darnieder, die Zustände sind haarsträubend. Alles ist sehr teuer. Für die Anzeigen meiner Sprechstunden in einigen Journalen habe ich z. B. 100 Taler bezahlt.

Pera, den 7.3.1867

Freitag, den 1. März war ich abends bei einem Preußen, dem türk. Obserst Stricker, wo wir Whist spielten. Sonnabend und Sonntag war das Wetter sehr rauh und nichts anzufangen. Sonntag zu Mittag war ich bei einem Deutschen, dem Ing. Husmann, der hier mit 2 Brüdern lebt. Sie alle sind Ingenieure, aus Westfalen und gefallen mir von allen Deutschen hier am besten, haben große Reisen ins Innere gemacht und bauen jetzt ein gewaltiges Straßennetz in Kleinasien, welches mit Lokomobilen befahren werden soll.

Der Älteste und Haupt der Unternehmung, geht im Sommer nach Deutschland und wird wahrscheinlich Eugen, wenn er Lust hat, herzukommen, engagieren. Vielleicht gehe ich nächstens mit Husmann zu seinem Hauptquartier in Asien.
Montag nach der Sprechstunde war ich bei Dr. M. auf dem Basar in Stambul. Das Umhertreiben dort ist unerschöpflich interessant.
Zum Dinner war ich beim Grafen Brassier, wo die Angehörigen der italienischen, belgischen und schwedischen Gesandtschaften waren. Der alte Herr ist sehr liebenswürdig, hat aber wunderliche Eigenheiten, ein echter Krautjunker, der, auf orientalischen Boden verpflanzt, sich mit einer orientalischen Maske abmüht, aus der aber überall der Berliner herausschaut.
Er hat als Haushälterin eine schöne Italienerin, welche die Honneurs bei Tisch macht. Nach dem Essen, als wir uns auf Diwans ausstreckten und Tschibuks rauchten, rauchte die Donna munter mit. Abends ging ich noch auf eine Soirée bei Dr. Dothier, ein Mann, der in Deutschland Katholik und Demokrat war, hier Jesuit und Direktor der österr. Schule und ein großer Kenner byzantinischer Altertümer ist. Es waren ausschließlich Deutsche da und es wurde getanzt. Der Ton in der hiesigen deutschen Gesellschaft ist recht angenehm, ungezwungen. Die Damen, meist von hier gebürtig, haben ein sehr gutes Benehmen.
Am Dienstag nach der Arbeit fuhr ich mit Dr. M. über das Goldene Horn nach der Serailspitze und dort spazierten wir längs der alten byzant. Mauern zwischen diesen und dem Meer südwärts. Es ist ein schmaler Strand und wir gingen auf den alten Substruktionen der ältesten Mauern, welche jetzt von Wasser bedeckt sind. Alte Säulencapitäle und Fragmente der Schäfte liegen umher, hoch wächst das Unkraut. Hunde liegen am Strand, ob nicht eine Leiche angespült werde. So fanden wir ein totes Pferd, halb an Land gespült und etwa 20 Hunde damit beschäftigt, es zu verzehren. Die untergehende Sonne schien wunderschön durch die Mauerzinnen und beleuchtete die Zypressen und Pinien auf der Mauer. Herrlich war die Beleuchtung der asiatischen Berge, die dunklem Violett und Braun erschienen, während die Schneegipfel des Olymp rosarot erschienen. Dunkelblau schieden sich darunter die Prinzeninseln vom hellblauen Meer. Tausende von Fenstern erglänzten in Skutari im Feuerschein der untergehenden Sonne. Als wir zurückfuhren, hatte die Sonne den Himmel zitronengelb gemalt und von diesem Hintergrund hoben sich die zahllosen Kuppeln Minaretts der Stadt wunderbar ab.

Abends gingen wir auf einen Ball der hiesigen deutschen Gesellschaft „Teutonia“, wo ich mich mit Hartert und den Humanns recht gut amüsierte, sodass wir erst um 5 Uhr nach Hause gingen.

Am Mittwoch machte ich eine Expedition nach den Mauern an der Landseite von Konstantinopel, die sich von der Spitze des Goldenen Horns bis zum Marmarameer erstrecken (ca. 2 Meilen lang). Per Kaik fuhren wir an die Spitze des Horns und gingen von da längs der Mauern bis zum Tor von Adrianopel. Ich habe nie großartigere Ruinen gesehen als diese Mauern, welche alle 60 Schritt einen ungeheuren Turm einschließen. Stellenweise sind sie so gut erhalten, dass sie wie neu aussehen, dieselben Mauern, welche den römischen Kaisern widerstanden, den Goten, Bulgaren, Arabern, von den Kreuzfahrern und endlich von den Türken erstürmt wurden. An der Außenseite der Mauern stehen gewaltige Bäume. Es sind dort die enorm ausgedehnten türk. Begräbnisplätze, die abwechseln mit Moscheen und Ortschaften, ein buntes Bild. Hoch auf der Mauer ragt ein kühner Bau, der Constantinspalast mit seinen Balkonen und Säulengängen, äußerlich noch ziemlich erhalten als einziger Rest der byzant. Prachtbauten. Eine durch ein Erdbeben gestürzte Stelle der Mauer erlaubte mir, ihre Höhe zu besteigen. Da oben war ein herrlicher Platz. Die breite Mauer ist mit Bäumen und Gesträuch bewachsen, der Boden war blau von Perlhyazinthen. Wir setzten uns ins Gras und genossen die unvergleichliche Aussicht. Unter uns die Stadt von Holzhäusern, Moscheen, Ruinen, dazwischen Zypressen und blühende Obstbäume, jenseits der Stadt das Marmarameer, darüber der Olymp, links von uns das Golde Horn mit seinen zahllosen Schiffen und Booten, jenseits die großen Vorstädte, besonders die Bergrücken von Pera und Galata, hinter uns die Landschaft mit Hainen, Moscheen etc. Wir gingen weiter zum Tor von Adrianopel, setzten uns vor dem Tor vor ein Kaffeehaus. Hier, am Haupttor der Türkenstadt war es recht orientalisch. Eine lange Karawane von schwerbeladenen Kamelen zog in die Stadt.
Der türk. Pöbel amüsierte sich durch einen Zweikampf, den er zwischen 2 tartarischen Böcken anstellte. Die Tiere sahen aus wie wandelnde Wollsäulen, so stark war die Wolle. Es war komisch, wenn sie kunstgerecht einen Anlauf nahmen um mit aller Kraft die Köpfe zusammenzustoßen, was einen solchen Schall verursachte, als wenn 2 Stücke Holz mit größter Kraft gegeneinander schlagen. Mehrmals fielen beide betäubt hin, nahmen aber immer bald den Kampf wieder auf.
Wir gingen später durch das Judenviertel (Balat) und die Griechenstadt (Fanar) zum Goldenen Horn und setzten wieder nach Pera über.

Abends war ich bei Herrn Hartert mit einigen Herren der österr. Gesandtschaft. Dienstag und Freitag war schlechtes Wetter und wurden der Praxis gewidmet und der Lektüre und dem Schreiben. Die „Hamburger Börsenhalle“ habe ich bis zum 9.2. gelesen. Außerdem erhalte ich nur die Wochenausgabe der „Augsburger Allgemeinen“. Ich bin also in der Politik noch ziemlich zurück. Vorige Nacht hatten wir hier Erdbeben. Das große Erdbeben auf Kellaphonia hat gerade stattgefunden, als wir an der Insel am 3./4. Februar vorbeifuhren.

Pera, den 21. März 1867

Es ist ein furchtbar heißer, schwüler Tag heute. Obgleich es schon spät ist, sitze ich ohne Kleider am offenen Fenster, unter mir glänzen tausend Lichter von den Schiffen, von der Stadt und von Skutari, selbst von den Prinzeninseln herüber. Den ganzen Tag hatte der Sirocco geweht und alles lechzt nach Kühlung, die Frösche quaken unten im franz. Garten, die Klosterglocke läutet. Es ist solch schwüle Stille wie vor dem Gewitter, welches vermutlich diese Nacht kommen wird.

Über die letzten 14 Tage bin ich Euch Rechenschaft schuldig. In der vorigen Woche hatten wir Nordwind und raues Wetter, d.h. wie wir es oft im Sommer haben, sodass ich wenig Ausflüge gemacht habe. Das Leben in Pera ist schrecklich, und wenn ich einmal 2 Tage nicht hinaus komme, so halte ich es hier kaum aus und bin in der übelsten Laune, weil die Entbehrungen sehr groß sind. Komme ich dagegen hinaus in die wunderbare Natur, die reich ist wie nirgends sonst, dann vergesse ich sofort allen Kummer und Ekel, die der Aufenthalt in Pera erzeugen. Ich lasse daher ungern einen Tag vergehen, ohne eine Fahrt auf dem Wasser oder einen Ritt in die Umgebung zu machen.

Die ärztliche Praxis beschäftigt mich regelmäßig von 9 Uhr morgens bis 3, 4 oder 5 Uhr nachmittags ohne Unterbrechung. Groß ist die Anzahl der Kranken die kommen, und die Arbeit würde mir trotz der großen Unbequemlichkeiten, die es mit sich bringt, das ich weder Klinik noch Assistenz habe und alles selbst tue und für alles Rat schaffen muss, gefallen, wenn nicht zwei Übelstände da wären, die vorläufig alle Freude vernichtet.
Erstens, dass fast kein Patient die Absicht hat, sich behandeln zu lassen, sondern nur kommt, um meine Meinung zu erfahren (sie sind viel zu misstrauisch, um sich einer Behandlung auszusetzen). Wenn man den zahlreichen Blinden, die durch einfache Operationen leicht zu heilen währen, stundenlang, denn man ist hier sehr weitläufig, das Sachverständnis erläutert hat, gehen sie sehr erfreut von dannen, um sich nie wieder sehen zu lassen.
Der 2. Übelstand ist der, dass kein Mensch je bezahlt. Jeder Pascha lässt sich lieber auf die Straße werfen, als dass er Geld hergibt. Sie versichern immer sehr höflich, sie würden bezahlen, wenn sie wiederkämen, aber sie kommen nie wieder. Aber immerhin bleibt die Menge der verschiedenen Menschen aus allen Gegenden Asiens und Afrikas und die Menge der verschiedenen Krankheiten, die ich täglich sehe, interessant genug und die Vormittage würden mir Spaß machen, wenn der Aufenthalt in dem dunklen, stinkenden Raum in der Derwischstraße, für den ich monatlich 100 Taler zahle, nicht so entsetzlich wäre. So ist denn das Vergnügen doppelt groß, wenn ich nach Beendigung der Sprechstunden gewöhnlich mit Dr. M. hinausgehe oder fahre, sei es zu den Mauern Stambuls oder ans Marmarameer, nach Asien oder den Bosporus. Es ist unmöglich, sich eine halbe Stunde von der Stadt zu entfernen, ohne irgend etwas anderes, neues, verschiedenes zu sehen, was unbeschreiblich schön ist.

Von Pera durch ein Tal getrennt, westwärts, erhebt sich ein dicht bebauter Hügel, Tatarla oder St. Dimitri, von Griechen bewohnt. Von da landeinwärts erheben sich weitere Hügel, auf denen jetzt der Frühling aus der Nässe des Winters eine Fülle von Blumen entwickelt. Wir überstiegen einige Hügel und sahen plötzlich in einem Tal unter uns eine prächtige große Moschee mit zahlreichen Kuppeln und schlanken Minaretts mit vergoldeten Spitzen, mitten in einer Gruppe riesiger Platanen und Zypressen. Herrliche Bogengänge umgeben den Hof der Moschee, in welcher ein reicher Brunnen sich befindet. Ein kleines Dorf liegt längs des kleinen Bachs, an den Häusern niedliche Gärten voll blühender Sträucher. Das Ganze mitten in einer Einöde gelegen, macht einen zauberhaften Eindruck.

Vorgestern gingen wir zur Moschee nach Stambul, die groß und frei auf der Spitze eines Hügels liegt. Der freie Platz dient den Karawanen zum Lagerplatz und war voll der merkwürdigsten Staffage. Von dort gingen wir zum Top Kapu (Tor des heiligen Romanus) in der alten Stadtmauer. Wir verfolgten dann wieder die alte Mauer südwärts, schönere Ruinen gibt es in der Welt nicht als diese doppelte Reihe gewaltiger Mauern mit ihren kolossalen Türmen. Aus dem Zwinger zwischen den beiden Mauern wachsen riesige Bäume, auf den Mauern selbst, aus den Spalten hervor wachsen sie und Mauern, Türme und Bäume, alles ist dicht überrankt von dem üppigen Efeu, der Boden ist bedeckt mit Blumen, überall zeigt sich in frischem Grün und bunten Farben der Frühling. Die Vögel singen auf allen Zweigen, darüber ein blauer Himmel und eine balsamische Luft – es ist fürwahr ein von den Göttern gesegnetes Land. Die Mauern sind noch in genau dem Zustand wie am Tag der Eroberung, nur dass die Erdbeben einige Türme umgeworfen haben, welche jetzt malerisch am Boden liegen. Am Top Kapu sieht man noch die Bresche, welche die Türken mit ihrer einen großen Kanone geschossen haben. Über einem Tor fanden wir noch einen in Stein gehauenen altrömischen Adler.

Rumeli Hisarı: Sultan Mehmed II. ließ die Anlage 1452 für die Belagerung Konstantinopels, an der schmalsten Stelle des Bosporus, errichten. Die Meerenge ist hier nur 700 m breit.

Außerhalb des Stadtgrabens ist alles ein endloser türkischer Begräbnisplatz, als Zypressenwald. Vor dem Tor war ein kleines türkisches Kaffeehaus, mitten unter den Gräbern. Vor demselben saß eine Reihe alter Türken und Derwische, ruhig ihre Tschibuks rauchend. Wir setzten uns zu ihnen, schweigend mit ihnen den üblichen Salam tauschend (man berührt mit der Hand nacheinander den Boden, die Brust und den Kopf). Sodann begann eine Unterhaltung. Es waren vortreffliche alte weiß bärtige Herren, und wir wurden bald gute Freunde.

Zuletzt lud ein Derwisch uns ein, sein Kloster zu sehen. Dasselbe lag jenseits der Friedhöfe, ein sehr hübsches neues Gebäude. An der Moschee die Zeilen der Derwische um einen inneren Hof herum, der reizend mit Rosen und anderen Blumen verziert war. Dort saßen in stiller Beschaulichkeit die Derwische und rauchten. Alles war so freundlich und hübsch, dass man wohl Neigung bekommen konnte, türkischer Mönch zu werden. Nachher setzten wir unsere Wanderung fort, bis zum Schloss der 7 Türme, wo die Stadtmauer ans Marmarameer stößt, an der Südseite Konstantinopels. Dort nahmen wir ein Kaik und fuhren längs der Seemauern in nördlicher Richtung bis zur Serailspitze und dann übers Goldene Horn nach Galata zurück, eine Fahrt von 2 Stunden. Es war dunkel geworden und eine herrliche Mondnacht.
Gestern fuhren wir im Kaik nach Asien um Kadiköi herum an eine schmale Halbinsel, die sich ins Marmarameer erstreckt und von dem üppigsten Blumenflor des Frühlings und schönsten Zypressen bedeckt ist. Dort stand am Strand ein Palast Justinians, noch stehen die Grundmauern und dahinter eine große gemauerte Zisterne, am Strand liegen Fragmente von Marmorsäulen und zahlreiche bunte Steinchen aus der einst prachtvollen Mosaikbekleidung der Wände.

Zwei Jagdausflüge zu Pferd und zu Fuß
An den beiden letzten Sonntagen habe ich Jagdausflüge gemacht. Am ersten haben wir Füchse gejagt. Zu Pferde ging es hinaus von Pera in die wüste Landschaft. Das Terrain ist sehr hügelig, von tiefen Taleinschnitten durchzogen mit steilen Abhängen. Die Berge mit niedrigem Gestrüpp bewachsen, keine Spur von Kultur, meilenweit kein Haus und kein Mensch. Nur hier und da beleben Schafherden durch ihr Glockengeläute angenehm die Öde.

Wir hatten gute Pferde und ritten venr áterre bergauf und bergab, Wege gibt es dort nicht. Von der Höhe der Hügel ist die Aussicht auf die endlosen, gleichförmigen Hügelreihen, die ein dunkles Aussehen haben, und auf die grünen, schmalen Täler dazwischen höchst eigentümlich. Es war ein malerisches Bild, wie wir ins Tal hinabstiegen, wie drunten in der engen Felsschlucht unsere Pferde herangeführt wurden in ihrer bunten türkischen Aufzäumung mit den Dienern in der malerischen Tracht. Wir stiegen zu Pferd und fort ging es auf unglaublichen Pfaden über Felsblöcke, durch Bäche bis in ein breites Wiesental, den „süßen Wässern von Europa“. Dort ist ein Schloss des Sultans mit einer Moschee.
Die Sonne ging unter und beleuchtete magisch die braunen Hügel an den Seiten und die Spitzen der Minarette. Es ist ein breites Tal, in der Mitte strömt ein kleiner Fluss, hübsch eingefasst durch eine Reihe alter Bäume, daran hin läuft ein breiter Weg, daneben Wiesenflächen mit Baumgruppen, das Ganze wie ein Park, aber weit und groß in allen Verhältnissen, nicht klein und überladen wie unsere modernen Anlagen. Der Weg war von heimkehrenden Schafherden belegt.
Wir erreichten in rasendem Wettlauf der Pferde bald die Stadt.

Am letzten Sonntag versammelten wir uns früh um 4 Uhr bei Herrn Hartert bei hellem Sonnenschein. Wir hatten Jäger, gute Hunde und reichlich Vorräte. Diesmal ging es zu Fuß in derselben Richtung wie am Sonntag vorher. Wir marschierten tüchtig über die Hügelketten und durch die Täler, immer nordwärts, ca. 3 Meilen weit. Der Tag war wunderschön, heiß wie im Juli, wundervoll die Vegetation.
In allen Tälern rauschten muntere Bäche, überall sprossten Blumen hervor. (4 Wochen später ist dort schon alles verdorrt und versengt). Weithin sind die Hügel mit Heide bewachsen, außer unserer gewöhnlichen Heide mit einer 6-8 Fuß hohen strauchartigen, die in voller Blüte steht, weiß und rot wie bei uns im August, ein prächtiger Anblick. Dazwischen blühten an den Berghängen die schönen großen, purpurroten Anemonen, auf den feuchten Wiesen Schneeglöckchen und blaue Hyazinthen.
Viele Täler sind ganz eng und von der üppigsten Vegetation umsäumt, alles überwuchert von wilden Rosen- und Schlingpflanzen, sodass ein undurchdringliches, aber sehr malerisches Gewirr entsteht. Um 9 Uhr fanden wir eine Hütte, in der Kaffee ausgeschenkt wurde. Wir lagerten vor derselben und frühstückten mit ungeheurem Behagen. Dann ging es weiter durch Berg und Tal, endlich in einen sogenannten Wald, d.h. ein Tal, welches dicht mit Eichenbusch bewachsen ist. Die Eichen hatten noch kein Laub, während der Grund und das Unterholz grünte und blühte. Die kahlen Bäume machten bei der sommerlichen Hitze und übrigen Vegetation einen sonderbaren Eindruck. Wir hatten gehofft, Schnepfen zu finden, aber bei der Wärme waren sie schon nach Norden gereist. Mittags lagerten wir uns an einem Bach, der herrlich frisches Wasser hatte, auf einem Platz, der bedeckt war mit unseren echten Schlüsselblumen, die hier aber nicht gelb, sondern lila sind. Das improvisierte Mahl schmeckte köstlich in dieser Umgebung, dieser Luft und nach der Bewegung.

Abends um 5 Uhr kamen wir an einen Ort, welcher 2 Meilen von Konstantinopel entfernt ist, wo 2 Söhne des früheren Sultans ihre Villen haben und wo sich ein Kaffee befindet. Da 2 unserer Begleiter erklärten, nicht mehr laufen zu können, schlugen wir dort unser Lager auf und schickten nach einem Ort, um Pferde zu bekommen. Diese kamen um 7 Uhr und sahen kläglich aus, zeigten sich aber als vortrefflich, denn wir ritten in wenig mehr als 1 Stunde trotz der Dunkelheit und des über alle Begriffe schlechten Weges nach Hause. Es ist ein sonderbares Gefühl, im Dunkeln auf halsbrecherischen Wegen en pleine carriére zu reiten, aber die Pferde sind sicher. Mit unseren Pferden würde man kaum am Tag solche Wege reiten können.

Morgenabend bin ich auf einem offiziellen Gesandtschaftsdinner bei Graf Brassier, am Abend gehen wir wahrscheinlich nach Asien hinüber und reiten die Nacht bei Mondschein 7 Meilen weit in die Wälder am schwarzen Meer, um dort einige Tage zu jagen.

Die Abende bringe ich oft bei verschiedenen Landsleuten zu, bald hier, bald dort, zuweilen spielt man Whist oder man geht zu Tas Falluchi, einem Ungarn, der eine kleine, finstere Höhle hat, in der Wiener Bier getrunken wird und wo sich meist die Deutschen zusammenfinden.

Mein Frühstück und Dinner nehme ich noch mit Dr. M. bei unserer Hausherrin, was, obgleich berechtigten Ansprüchen nicht ganz entsprechend, doch bequemer ist als ins Hotel zu gehen. Mitte April gedenke ich aufs Land zu ziehen, auf die Prinzeninseln oder nach Therapie oder Bujucdere am Bosporus. Von beiden Plätzen kommt und geht man per Dampfschiff am Morgen und am Abend.

Pera, den 29.3. und 4.4.1867

Das wir am Freitag unseren Jagdausflug nicht unternommen hatten, war wesentlich glücklich, da in derselben Nacht nach vorausgegangener Hitze ein Sturm aus Norden mit Regen eintrat, welcher 5 Tage ununterbrochen anhielt. Der graue Himmel und die Unmöglichkeit das Haus zu verlassen, hatten auf mich einen solch deprimierenden Einfluss auf Körper und Gemüt, dass ich völlig krank war und von übelster Laune. Glücklicherweise sind solche Tage selten.
Jetzt haben wir wieder starke Hitze, blendendes Licht am Tage, warme Nächte und jene wunderbare Färbung des Himmels und der Landschaft, die man nur in Konstantinopel kennt, besonders beim Auf- und Untergang der Sonne. Die ersten Strahlen der Sonne, wenn sie sich am Morgen erhebt, treffen gerade mein Antlitz und wecken mich aus dem Schlaf. Ich kann dann vom Bett aus sehen, wie zuerst die Minarettspitzen des Stadthügels der sich jenseits des franz. Gartens erhebt, vergoldet werden, während links auf dem Bosporus noch dichte Nebel liegen, die sich allmählich zerstreuen und den Blick auf Scutari, auf die Schiffe und hinaus aufs Marmarameer freigeben. Heute Abend ging ich lange auf der Westseite Peras, am kleinen Campo auf und ab und sah aufs Goldene Horn hinab, während die untergehende Sonne die Kuppeln Stambuls jenseits desselben beschien und tausend Lichter durch die Zypressen, die den Abhang des Hügels bedecken, warf.
Wenn ich einmal am Tage in meinem Zimmer bin, freue ich mich an dem üppigen Gedeihen der Gemüse und an den hübschen Narzissen, Hyazinthen und Primeln im Klostergarten und an dem Fleiß der alten weissbärtigen Kapuziner, die darin arbeiten. Die Birnbäume stehen jetzt in schönster Blüte, nach dem die roten Mandelblüten, Pflaumen und Aprikosen verblüht sind. Die Kastanien haben frisches grünes Laub.
Heute machte ich dem französischen Gesandten einen Besuch. Wir saßen im Garten im Schatten dichter Lorbeeren, vor uns reizende Blumenbeete von großen Stiefmütterchen.

Blick auf das Goldene Horn mit der Galata-Brücke im Hintergrund

Viele Kranken suchen Rat
Leider habe ich auch bei gutem Wetter jetzt kaum Zeit, meiner Liebhaberei für Landpartien nachzugehen, da ich sehr viel zu tun habe. Ich fange an, ein berühmter Mann hier zu werden. So sehr anfangs die Leute misstrauisch waren, so sehr sie es überhaupt sind, so sehr sind sie auf der anderen Seite geneigt, jede wirkliche Leistung zu überschätzen und das Gewöhnlichste für ein Wunder anzusehen.
Da es hier selbstverständlich ist, dass jedes Leiden vom Arzt verschlechtert statt verbessert wird, so ist ein erzielter Erfolg ein Grund zum Staunen. Da nun außerdem meine Hilfe gratis verabfolgt wird, was man hier auch nicht gewohnt ist, so spricht man wie von einem Wunder davon und hunderte von Augenkranken strömen nach der Rue Derwisch, wo ich von 9 Uhr morgens meist bis 6 Uhr abends ununterbrochen arbeite. Da ich außerdem hier und da Operierte liegen habe, die ich besuchen muss, so habe ich wenig Zeit übrig und bin abends sehr ermüdet.

Für die Operationen gilt dasselbe wie für die ganze Praxis. Man entschließt sich sehr schwer zu einer solchen, weil man eigentlich des Misserfolgs sicher ist. Ist aber ein Erfolg da, so ist des Wunders kein Ende und man scheint den Leuten ein Gott zu sein. So habe ich denn zunächst eine Anzahl armer Teufel in den schlechtesten häuslichen Verhältnissen sozusagen auf Feldfuss operiert, aber hier scheint alles gut zu gehen.
Die wunderbaren fremdartigen Verhältnisse, die stets wieder neu und wechselnd sind, das bunte Gemisch des Publikums nach Art, Sitte, Kleidung und Sprache im Gegensatz zu dem sich stets wiederholenden Einerlei bei uns daheim, macht mir diese ermüdende Praxis bis jetzt zu einem wahren Vergnügen, umso mehr, als ich fast nie allein mit Kranken zu tun habe, sondern fast immer von einem Stab hiesiger Ärzte umgeben bin, die aus Neugierde oder aus Zeitvertreib sich um mich versammeln.

Denn Zeit hat hier jeder im Überfluss. So sitzt z.B. mein Freund, der gute Isailoff fast ohne Ausnahme jeden Tag 5 Stunden in meiner Praxis und betrachtet es als eine angenehme, ihm vom Himmel gesandte Aufgabe, sich mit Leuten, die zu mir kommen, zu unterhalten, die Honneurs zu machen etc. Er leistet mir durch seine Kenntnisse hiesiger Verhältnisse wesentliche Dienste, auch lässt er es sich nicht nehmen, mich bei den Krankenhausbesuchen zu begleiten. Und doch hat er sein großes Geschäft hier in Pera.

Eine bunte Gesellschaft sammelt sich
Das Corps der Ärzte um mich her, alte Türken mit weißem Bart, junge Leute in türk. Uniform der mediz. Schule, griechische, europ. gebildete Ärzte und endlich kosmopolitische Deutsche der verschiedensten Art bilden allein schon ein Gemisch wunderbarer Art. Bunter noch ist das Publikum, welches sich in meinen Zimmern drängt und sichs dort so bequem wie möglich macht. Da sitzen auf dem Teppich des Fußbodens die Alt-Türken, Emire mit grünen, Ulemas mit weißen Turbanen, auf dem Sofa sitzt der vornehme Bey oder Pascha in schwarzem, hoch zugeknöpften Rock und Fez, während neben ihm Herr Isailoff mit höflichem Reden ihm den Bart salbt, in einem Winkel steht eine Gruppe türkischer Weiber in grünen, roten oder blauen Mänteln und den weißen Schleiern um Kopf und Gesicht und rauchen zum Zeitvertreib Zigaretten, während dem vornehmen Türken sein schwarzer Diener in feuerrotem Kattunanzug seinen Tschibuk zurecht macht. Auf den Stühlen sitzen sehr elegant gekleidete (nach Pariser Mode) perotische und armenische Damen, die letzteren Zigarren im Munde, um sie her und draußen auf dem Vorplatz drängen sich Armenier, Griechen, Juden, Perser, Araber und Neger in buntem Gemisch. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, habe ich ein straffes Regiment eingeführt: kurze Frage und Antwort, militärischer Gehorsam. Widerrede wird nicht gestattet. Dies ist den Leuten so ungewohnt, wo sonst alles so weitläufig besprochen und erwogen wird, dass sie sich nicht genug darüber wundern können. Da aber, wer sich nicht fügen will, einfach an die Luft gesetzt wird, so gewöhnt sich das Publikum schon recht nett an diese praktische, norddeutsche Art, während es für die Zuschauer ein ergötzliches Schauspiel ist, welches ihnen noch nie geboten wurde und ihnen unglaubliches Vergnügen macht. Ein großer Pascha und Minister drüben in Stambul hatte mich schon vor 5 Wochen konsultiert und ich hatte ihm sehr weitläufig auseinandergesetzt, dass er operiert werden müsse und zwar so bald als möglich, wenn er nicht blind werden wolle. Seitdem langweilte mich der Mensch durch beständige indirekte Fragen und Erkundigungen.
Kein Kranker kam aus Stambul, der sich nicht immer wieder nach der Sache erkundigte, seine Boten kamen in jeglicher Gestalt zu mir bis ich die Geduld verlor und erklärte, ich wolle ihn nicht mehr operieren. Gestern kam, als ich beschäftigt war, ein Türke ins Zimmer und setzte sich neben Herrn Isailoff. Dieser merkte, dass es wieder ein Gesandter des Pascha war und sagte ihm leise, er möge sich ja nicht merken lassen, dass er von diesem komme, sonst würde ich ihn vermutlich hinauswerfen lassen, worauf er sehr ängstlich bat, Herr I. möge mich doch sanfter stimmen. Dieser erklärte sich hierzu bereit, sobald jemand mit dem Auftrag komme, mich zu bitten, die Stunde der Operation zu bestimmen. Darauf begab sich jener sachte davon.
Heute morgen kam ich etwas später in die Praxis und bemerkte eine große Menschenmenge. Während ich sehr beschäftigt war, kamen 2 Türken, die mich sehr freundschaftlich begrüßten und mit heiterer Miene von Freund Pascha zu reden anfingen. Sobald ich den Namen hörte, wurde ich zornig und rief den Diener, er möge die Leute zur Tür hinausführen. Das anwesende Publikum staunte natürlich sehr über diese prompte Justiz und einige Anwesende verdolmetschten dem Abgesandten meinen gerechten Zorn, worauf dieser sich lächelnd auf einen Stuhl setzte und sich eine Zigarre drehte. Ich nahm weiter keine Notiz von ihm und arbeitete weiter. Ein Schweizer mit seiner sehr schönen Frau, Italienerin, brachten mir ihren Jungen, welcher sehr schielte.
Man entschloss sich, ihn operieren zu lassen, was denn auch gleich vorgenommen wurde zum großen Entzücken des Publikums, da hier alles publice vor sich geht. Der Vater fing an zu weinen, die Mutter fiel in Ohnmacht und nach einigen Minuten war die Sache vorbei und der Junge schielte nicht mehr. Natürlich hatte niemand geglaubt, dass es so kommen würde, man hatte irgend etwas grässliches erwartet und des Staunens war kein Ende. Glückwünsche kamen von allen Seiten. Die Türken riefen ein „Maschallah“ über das andere.
Jetzt fing der Abgesandte wieder an, sich zu regen. Ich erklärte ihm aber allen Ernstes, dass ich von seinem Pascha nichts wissen wolle. Zufällig kam Herr Isailoff hinzu und sagte dem Mann mit komisch ernster Miene, es sei sehr vorsichtig von ihm, dass er sich nicht zu mir gewagt habe, er möge mit ihm hinausgehen und draußen mit ihm verhandeln.
Dort wurde dann festgesetzt, dass, wenn der Pascha mich innerhalb von 5 Tagen bitten würde, die Stunde zu bestimmen, so solle Gnade vor Recht ergehen. Ich erzählte die Geschichte als Beispiel von der Art, wie man hier miteinander umgeht. Nachher wurde noch einem Mann ein Auge herausgenommen, welcher Pole ist, in Österreich Apotheker, dann in Konstantinopel Arzt war und jetzt franz. Kanzler in Adrianopel ist.
Endlich zog ich mit einem ganzen Stab von Ärzten nach dem Haus meines Dieners, der eine Art Klinik bei sich anlegt und operierte einem alten Türken einen Star, außerdem einen Priester, einen Araber aus Bagdad, der hier bei den Türken eine große Rolle spielt und zuweilen dem Sultan privatissime den Text liest. Dieser Mann ist 36 Jahre alt, seit Geburt blind und wird wahrscheinlich nach der Operation sehen können, was dann jedenfalls bei den Türken ein großes Wundern erregen wird.

Besuch vom Derwisch
Auch außerhalb der Praxis mache ich zuweilen interessante Bekanntschaften. Von dem Derwisch, der uns sein Kloster zeigte, habe ich neulich schon erzählt. Derselbe besuchte mich in diesen Tagen. Er ist ein feiner, intelligenter junger Mann, der sein Mönchshabit mit einer gewissen Koketterie trägt und seinen angehenden Bart sorgfältig pflegt. Er zeigte sich sehr aufgeweckt und wissbegierig und meinte, ich möge ihn mit nach Europa nehmen, und sei es als Diener. Er wird mich Donnerstag nach seinem Kloster holen, um die Zeremonie zu sehen.
Auch besucht mich zuweilen mein Freund, der Kellermeister des Kapuziner Klosters, Frau Leonardo, der jovialste, gutmütigste Bursche der Welt, mit rundem Bäuchlein, schönem schwarzen Bart, stets mit einem Witz im Munde und ewig heiterem Antlitz. Er ist sogar ein Kollege, denn er hat einst in Padua Medizin studiert und kuriert jetzt mit Kräutersäften und Handauflegen.
Er brachte mir neulich einige Flaschen Santorino aus dem Klosterkeller, die gar nicht übel waren.

Ein sehr angenehmer Verkehr ist für mich der hiesige Oberst Strecker und dessen reizende Frau, Italienerin, mit der er seit 6 Wochen verheiratet ist. Wir spielen oft abends einen sehr heiteren Whist. Durch all diese Bekanntschaften ist meine Zeit sehr in Anspruch genommen, sodass mir zum Schreiben meist nur die Nacht bleibt. Meinen Schlaf habe ich überhaupt weitgehend eingeschränkt. Das Leben hier ist in der Tat zu interessant, um viel zu schlafen.

Besuch im türkischen Bad 2
Ein großer Genuss ist, wenn man wenig oder schlecht geschlafen hat, morgens ins türkische Bad zu gehen. Die Vorhalle desselben ist eigentlich nur eine große Bretterbude mit Galerien und Divans. Nachdem man gebadet, d.h. 1 Stunde in dem heißen Raum gewesen ist, geknetet und gebürstet ist, legt man sich draußen auf einen Divan, in Leinen gewickelt. Man liegt dort halb im Freien, bei offenen Türen. Nichts ist dem Genuss zu vergleichenden eine Tasse Kaffee und eine Zigarette oder eine Nargileh gewähren, wenn man dort halbmatt vom Bade liegt, während ein Diener einem sanft die Glieder streckt und reibt.
Wenn man in guter Gesellschaft dort ist, kann man stundenlang so liegen und geht man, so schmeckt das Frühstück darauf vortrefflich. Die Nahrung ist in den Hotels französisch, in den Privathäusern griechisch. Die Griechen essen viel Fisch, Gesalzenes, Kaviar, sodann die türk. Nationalspeise, den Pillav. Mir gefällt nur eins der hiesigen Gerichte, nämlich Eier mit Tomaten in der Pfanne gebacken und Liebesäpfelchen mit Käse, wie Calderon sangt.
Neulich war ich in einem griech. Hause zum Dinner, was ich aber wegen der Fasten, die sehr streng gehalten werden, nicht noch einmal tue. Es gab gebratene Muscheln, Austern, Schnecken, Polypen und anderes Gewürm (frutti die mare) und Mehlspeisen.

Das Hotel de Pesth
Eine eigentümliche Stellung nimmt das Hotel de Pesth ein, das ein Ungar hält, der ein stets betrunkener Spitzbube ist, und doch ist das Hotel der tägliche Sammelplatz fast aller Deutschen, wo sie schlecht ungar.-deutsch essen und in einer rauchigen, kleinen Höhle von 10 Fuß im Quadrat sitzen, Bier trinken und politisieren.
Deutsche Handwerksburschen kommen hier sehr viele, deren Hauptziel Jerusalem ist. In Scharen ziehen sie dahin, hunderte von Meilen durch Asien, durch Einöden und Wüsten laufend. Bekannte haben mir erzählt, wie sie im Innern Asiens von einem dieser Abenteurer, der wie die Araber gekleidet mit einem „juten Abend“ meine Herren begrüßt wurden. Auf den weiten Flächen Rumeliens begegnete diesem selben Bekannten einst ein deutscher Schneidergeselle mit einem 10 Fuß langen ausgestopften Krokodil unter dem Arm, welches derselbe als Zeichen und Beweis seines Aufenthalts in Ägypten von dort zu Fuß nach Deutschland trug.

Vor einigen Tagen veranlasste ein Lärm auf der Straße mich hinauszuschauen. Dort saß auf einem Stein ein sehr alter, blinder Mann, die Augen ganz geschlossen, um ihn eine Menge Volk, und rezitierte in eigentümlicher Weise, indem sich die Stimme rhythmisch hob und senkte eine sehr lange Beschreibung von dem Erdbeben auf Mytilene. Solche Rhapsoden sieht man hier bei den Griechen noch häufig. Genau so hat einst Homer den Griechen die Taten von Troja gesungen.

Am Sonntag, den 31. März, war ein so heißer Tag, dass es fast zu viel wurde. Wir ritten zu mehreren über Scutari hinauf nach einem alten Haus, welches einen herrlichen Garten hat. Herr Hartert und ich haben die Idee, dasselbe als Sommerwohnung zu mieten. Es ist sehr groß und hat prächtige Räume. Später ritten wir ins Land hinein und auf die Höhe des Bolgulu. Der Ritt durch die asiatischen Landschaften ist viel mannigfaltiger und orientalischer als die Landschaft auf der europ. Seite. Sehr hügelig ist es auch hier, aber alles besetzt mit Villen, Dörfern, Obst- und Weingärten, dazwischen hier ein Brunnen, dort eine Moschee, dort eine Gruppe Zypressen, Platanen oder Pinien.

Am Montag morgen, lange vor Tagesanbruch, weckte mich der Donner der Geschützsalven, deren Blitze den Bosporus erhellten. Ich stand auf und ging auf die holländische Gesandtschaft, wo ich 2 Damen abholte, um sie zu der feierlichen Zeremonie auf dem alten Serail in Stambul zu führen. Als wir über das Goldene Horn fuhren, ging gerade die Sonne auf und beleuchtete die Kuppel der Moschee und die Schiffe im Hafen. Wir stiegen zum Serail empor und verfügten uns in ein Zimmer dicht am Eingang in den ersten Serailhof der „Hohen Pforte“, neben der Kirche der heiligen Irene, die mit dem Gräbern Konstantins und Helenens aus der Byzantiner Zeit noch wohl erhalten, jetzt als türkisches Zeughaus dient.
Das Zimmer war dem Diplomatischen Corps zum Anschauen des kaiserlichen Zuges eingeräumt. Der ganze, große, äußere Serailhof war angefüllt mit Artillerie, Kavallerie, Offizieren und Militärs aller Gattungen. Bald kam aus dem Serail hervor, der Zug des Sultans, der zur großen Sophien-Moschee zum Morgengebet ritt. Voran die sämtlichen Würdenträger, Paschas, Generäle etc. auf prächtigen Pferden, sie wie auch die Pferde mit Edelsteinen beladen. Jeder von zahlreicher Dienerschaft zu Fuß umgeben, zuletzt der Sultan von seiner Leibwache umgeben, dem seine übrigen Leibpferde und seine Kutsche leer folgten. Es war ein glänzender Aufzug.
Sobald der Zug vorüber war, begaben wir uns in den 2. Serailhof auf eine eigens für das Diplomatische Corps errichtete Tribüne, wo wir mit Schokolade und Kuchen bewirtet wurden. Nach kurzem Warten verkündete Kanonendonner die Rückkehr des Sultans aus der Moschee. Der ganze Zug ging wieder an uns vorüber in den 3. Hof hinein, wo jetzt hinter den Kulissen vom Sultan der Hammel geopfert wurde. Inzwischen wurden vor unserer Tribüne unter alten Platanen kostbare Teppiche ausgebreitet und darauf ein ganz goldener Divan gestellt. Ringsumher postierte sich Militär, der Sultan trat hervor und setzte sich auf den Divan, alle Großen des Reichs standen um ihn her und nun begann die eigentliche Cour, in dem jeder einzelne vortrat dem Range nach und einen Zipfel der Divandecke, den der Großwesir ihm hinhielt, unter vielen Verbeugungen küsste, während die Musik sanfte Opernarien spielte. Die Sache dauerte sehr lange und war eigentlich höchst komisch. Hübsch war nur der blaue Himmel, welcher durch das junge Grün der Platanen auf das malerische bunte Gewühl schien.
Als die weltlichen Granden fertig waren, tat sich ein Zwinger auf und feierlich trat ein langer Zug von Priestern an, voran der Scheich ul Islam. Alle in prächtigen, buntfarbigen, goldbestickten Mänteln und Turbanen. Der Scheich hielt ein Gebet, darauf fingen die Priester, einer nach dem anderen an, dem Sultan als besondere Vergünstigung den Rockzipfel zu küssen. Um 9 Uhr war alles vorüber.
Am Nachmittag machte ich in Stambul manche Visiten bei meinen türkischen Bekannten, wo man überall mit Konfekt, Sorbet etc. traktiert wird.

Weiße Unterhosen und gelbe Pantoffeln – Operation am Pascha
In den letzten 14 Tagen war ich wesentlich dadurch in Anspruch genommen, dass ich täglich 1-2 mal zum Konak des operierten Paschas reiten musste. Dieser Mann, der früher Stadthalter in Amassia war und die dortigen großen Provinzen gehörig ausgesogen hat, ist ohne Zweifel ein großer Übeltäter, der manche Schandtat begangen haben mag. Jetzt ist er ein gebrechlicher, nervöser, launischer Mensch, bekannt als größter Feind der Fremden und Christen. Er bewohnt einen großen, weitläufigen Konak mit zahlreichem Gesinde, 7 Frauen und unzähligen Kindern. Einer seiner Söhne, Ali Bey, ein 14jähriger Bursche, ist auch schon verheiratet. Der Pascha hat mich in den letzten Wochen viel Zeit gekostet. Ich habe mich stundenlang bei ihm aufhalten müssen, aber ich habe dabei das türk. Leben genau kennengelernt. Wenn ihr mich gestern gesehen hättet, würdet ihr ohne Zweifel gelacht haben. Der Pascha sollte ausgehen und wagte es nicht ohne mich. Also gingen wir beide Hand in Hand vor seinem Konak auf der Straße auf und ab. Er in gelben Pantoffeln, weißen Unterhosen, einem rot seidenem Pelz und blauer Nachtmütze, hinter uns ein Gefolge von ca. 40 Dienern.
Da ich einerseits sehr kurz und grob zu ihm mich verhalte, andererseits sein Auge sorgfältig behandelte, so stehe ich bei ihm in großem Respekt, was ihn aber nicht hindert, sich jedes mal sorgfältig zu waschen, wenn ich ihn angerührt habe, weil ich ein „Giaur“ bin, was mich natürlich veranlasst, gleichfalls jedes mal Waschwasser zu verlangen, wenn ich ihn angefasst habe und so ist denn des Waschens kein Ende.

Letzten Sonnabend war ich auf einer Soirée beim Internuntius Baron Prokesch, wo in den schönen Räumen des alten venezianischen Palasts eine glänzende Gesellschaft versammelt war, um sehr gute Musik zu hören. Ein ungar. Geigenspieler, Remenyi, ließ sich dort hören und überraschte durch die Schönheit seines Spiels.

Am Sonntag fuhr ich mit Hartert, Kenn und einem holl. Kapitän auf dessen Barke, die von 4 kräftigen Plattdeutschen gerudert wurde, den Bosporus hinauf nach Byukdere. Die Strömung ist dort so reißend, dass wir 4 Stunden gebrauchten. Unterwegs schossen wir auf Möwen, was nicht erlaubt ist. Als wir in die Nähe eines türk. Kriegsschiffes kamen, sahen wir uns deshalb von einem Boot desselben angegriffen, welches unser Boot an den Strick nehmen wollte. Da wir die holl. Flagge führten, setzten wir uns zur Wehr, waren aber doch genötigt, uns an die Seite des Kriegsschiffes zu legen. Man wollte uns zwingen, die Waffen abzugeben. Nach langem Unterhandeln, wobei wir von Beleidigung der holl. Flagge redeten, kamen wir glücklich davon.