Was sich durch den Angriff an der DSK verändert hat
Schule unter normalen Umständen ist schon eine Herausforderung: Welche Inhalte wie am besten vermittelt werden können – dazu gehört eine solide Ausbildung, Erfahrung und auch eine gewisse Gelassenheit. Und – darüber hinaus – sollen die Schüler ja auch noch ihre Prüfungen bestehen.
Wie viel schwieriger ist Schule unter den Bedingungen des Krieges? Ein Gespräch mit einem Schüler, einem Lehrer und dem Leiter der deutschen Schule in Kiew, die seit Februar 2022 mit dem Krieg als Alltag leben müssen. Ein Bericht für den Deutschlandfunk – Campus und Karriere.
Alexander ist nicht sein richtiger Name. Aus Sicherheitsgründen will er anonym bleiben. Von seiner deutschen Schule in der ukrainischen Hauptstadt wechselte er nach Österreich, um zu studieren und zu arbeiten. Seitdem, seit mehr als 500 Tagen, lebt er in ständiger Angst: „Noch bevor ich die Schule beendete, begann ich in einem Callcenter zu arbeiten, um meiner Familie wenigstens finanziell zu helfen. Jeder einzelne, stressige Arbeitstag voller hunderter Anrufe, hielt meinen Kopf zumindest für 8 Stunden vom Krieg abgelenkt. Aber jeden Abend dankte ich Gott, dass meine Mutter noch lebte und ich in der Lage war, meiner Familie, meinem Land und mir selbst zu helfen.“
Von einst 177 SchülerInnen sind 36 geblieben
So wie der heute 19jährige waren und sind alle Schüler der Deutschen Schule Kiew, kurz DSK, jeden Tag vom Krieg betroffen. Es sind Kinder von Einheimischen, aber auch von Deutschen, die in der Ukraine arbeiten – beispielsweise die Angehörigen der deutschen Botschaft. Doch viele haben das Land mittlerweile verlassen, sagt Willi Wrubel, der Schulleiter der DSK: „Was mich immer sehr bewegt und extrem traurig macht, ist die Entwicklung der Schülerzahlen. In der Zeit vor der russischen Invasion hatten wir 177 Schülerinnen und Schüler und haben einen wahren Exodus zu verzeichnen mit nur noch 36 Schülerinnen und Schüler, die im vergangenen Schuljahr die Schule besucht haben.“
Wrubel musste Anfang 2022 aus Sicherheitsgründen aus der Ukraine ausreisen. Seitdem leitet er die Schule von Deutschland aus. Auf eine Sache sind sie an der DSK besonders stolz: Es ist nur ein einziger Schultag ausgefallen – der Tag des Kriegsbeginns, erzählt Lehrer Fabian von Reinsperg: „Da gab es schnell eine E-Mail vom Schulleiter mit der Ansage, dass heute kein Unterricht, sondern erstmal nur Seelsorge stattfindet und wir haben über Zoom Wohnzimmer eingerichtet, wo man sich unterhalten konnte oder Schach spielen konnte.“
Unterricht auch bei Fliegeralarm
Von Reinsperg ist 33 Jahre alt und arbeitet seit 9 Jahren an der DSK. Auf einer Tagung in Erfurt berichtet er von seinen Erfahrungen vor 100 weiteren Auslandslehrern. Rund 2000 Lehrkräfte aus Deutschland sind zurzeit an deutschen Schulen im Ausland tätig. Aber niemand unter solch extremen Bedingungen, wie dem permanenten Fliegeralarm. „Die meisten in der Ukraine haben eine Handy-App, die heißt „Triwoha“, das heißt Alarm oder Warnung und die hat eine Verzögerung von 3 Sekunden zu den Sirenen, die auf der Straße dann losgehen. Mal sind die früher dran, mal später, das ist unfassbar laut und dann geht es noch mal von Handy zu Handy mit ein bisschen Verzögerung und dann wissen eigentlich alle schon: Bücher für die nächsten 1-2 Stunden einpacken, aufstehen, runter!“
Die Schüler entscheiden, ob sie den Unterricht in Präsenz oder online wahrnehmen – je nach Gefahrenlage. Die schlimmsten Momente für Fabian von Reinsperg: Wenn er seine Schüler gar nicht erreichen kann. Angst um die Kinder – das ist Stress pur. Doch auch in solchen Momenten lässt sich der junge Lehrer keine Schwächen mehr anmerken: „Ich saß im Sekretariat, weil da der beste Empfang war. Und ich meinte dann zwischendurch: „Ich könnte heulen“. In dem Moment läuft unsere Verwaltungschefin neben mir her, tippt mir auf die Schulter und sagt: „Nö! Nö, machst Du nicht“. Und das bleibt bis heute. Seitdem: Ich kann zuhause gegen die Wand schlagen, ich kann zuhause heulend auf der Bank sitzen, alles kein Problem. Ich kann mich auch auf der Arbeit mit einem Kollegen zusammensetzen und sagen: ich habe jetzt wirklich einen schlechten Tag. Aber niemals, solange da Schüler um die Ecke laufen!“
Die Kollegen sind zusammengerückt
Diese Selbstdisziplin sei die größte Veränderung in seinem Schulalltag im Krieg, in dem drei seiner Freunde ihre Leben an der Front verloren haben, so von Reinsperg. Und: die Kollegen sind zusammengerückt. Von 39 Lehrkräften sind lediglich 22 geblieben. Sie werden allerdings alle Anfang September 2022, nach den Sommerferien, ihre Arbeit wieder aufnehmen. Nach anderthalb Jahren Krieg ist es nicht viel, was sich von Reinsperg für seine Zukunft und die Zukunft seiner Schüler wünscht: „Ich hoffe, dass die Schülerzahlen stetig wachsen. Ich habe Bock auf volle Klassen und laute Flure! Jetzt habe ich kleine Klassen, da kann man sich noch intensiver um jeden einzelnen kümmern. Aber allein Gruppenarbeit ist dann schon schwierig. Ich habe es gerne wieder voll und laut. Das würde mich freuen.“