Aufstieg und Niedergang des Altonaischen Handelshauses van der Smissen 1682 – 1824

Datum

Vortrag von Dr. Klaus Reinhardt Wachs vor dem Rotary Club Hamburg-Dammtor 1984

Die Familie van der Smissen hat gegen Ende des 17. und im 18. Jahrhundert über den engeren Bereich Altonas hinaus im norddeutschen Raum und international in geistiger, geistlicher und wirtschaftlicher Hinsicht eine gewisse Rolle gespielt. Die materielle Grundlage der Außenwirkung der Familie van der Smissen waren ihre kaufmännischen Aktivitäten im Rahmen der als „Handlung“ bezeichneten Firmen H. van der Smissen, im gewerblichen Bereich mit dem Schwerpunkt der Bäckerei und endlich im Bereich der Immobiliengeschäfte. Auf diesem letzteren Sektor ihrer Aktivitäten hat die Familie van der Smissen wiederholt den allerdings nur einmal nachhaltig geglückten Versuch unternommen, sich der Landwirtschaft zu widmen.

Diesem Artikel liegt die Abschrift eines Vortrag von Altpräsident Dr. Klaus Reinhardt Wachs vor dem Rotary Club Hamburg-Dammtor am 21. 5. 1984 zugrunde.

A. Mennoniten des Brüsseler Patriziats
1.
Die Familie van der Smissen kommt aus Brabant, wo es heute noch zahlreiche Träger dieses Namens gibt. Sie war dort seitjeher weit verzweigt. Einer der Familienzweige führte im 15. Jahrhundert den Beinamen „Bogaert“, der auf die Herkunft aus dem südwestlich Brüssel gelegenen Städtchen Bogaarden hindeutet. Dieser Zweig, aus dem die hier abzuhandelnde altonaische Familie van der Smissen stammt, wurde im 15. Jahrhundert dem Brüsseler Patriziat zugerechnet. Ihm entstammt Gysbert I. van der Smissen, der 1576 wegen seines Übertritts vom katholischen zum mennonitischen Glauben durch die Inquisition verfolgt wurde und in jenem Jahr nach Goch im Herzogtum Kleve floh. Nach 1583 siedelte Gysbert I nach Haarlem über und starb dort. Sein Sohn Jan wurde in Haarlem Mennonitenprediger und ist der Stammvater des holländischen Zweiges der van der Smissens. Sein Sohn Daniel wurde 1583 in Goch geboren, heiratete 1618 in Haarlem Jacquemina van Coutèren van der Goes und siedelte etwa 1623 mit seiner Familie nach Friedrichstadt an der Eider über, wo er 1629 starb. Er ist der Begründer des deutschen Zweiges der Familie van der Smissen.

Altona 1664 zur Stadt erhoben und mit zahlreichen Privilegien ausgestattet

2 An dieser Stelle ist eine allgemeine Anmerkung über die verschiedenen Stadt-gründungen im 17. Jahrhundert auf dem Gebiet der nachmaligen preussischen Provinz Schleswig-Holstein am Platze. 1621 wurde Friedrichstadt auf dem Gebiete des von der dänischen Krone unabhängigen Herzogtums Holstein-Gottorp von Herzog Friedrich III. als Freistatt für die 1619 aus Holland ausgewiesenen Remonstranten – eine Fraktion der Reformierten Kirche – gegründet. Da auch die meisten anderen Religionsgemeinschaften Glaubensfreiheit zugesichert erhielten, siedelten sich in Friedrichstadt auch zahlreiche Mennonitenfamilien an, die als Flüchtlinge aus Holland und Brabant ins Land gekommen waren. Hintergrund der Gründung von Friedrichstadt war der Wunsch des Gottorper Herzogs, seinem Land das wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Potential der fleissigen, vornehmlich holländischen Glaubensflüchtinge nutzbar zu machen. Aus ganz anderen Gründen gründete König Christian IV. von Dänemark in den Jahren 1616/17 Glückstadt an der Niederelbe: Mit der Ansiedlung von Landeskindern und vornehmlich holländischen Glaubensflüchtlingen in dieser Stadt wollte der Dänenkönig einen Teil des Hamburger Handels auf dänisches Gebiet umlenken, um daraus wirtschaftlichen und politischen Vorteil zu ziehen. Dieser Versuch ließ sich zunächst erfolgreich an und führte bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer kurzen Blütezeit Glückstadts. Nachdem der Dänenkönig 1640 infolge des Aussterbens der Schauenburger Grafen die Drostei Pinneberg erworben hatte, wurde der dazu gehörige, unmittelbar an der hamburgischen Landesgrenze und bis dahin gänzlich unbedeutende Flecken Altona 1664 zur Stadt erhoben und mit zahlreichen Privilegien ausgestattet. Da Altona dazu ausersehen war, die Rolle Glückstadts zu übernehmen und dem Hamburger Handel Konkurrenz zu machen, erhielt Altona als erste deutsche Hafenstadt von Anbeginn an die Rechte eines Freihafens – und zwar ungeachtet der Tatsache, daß es noch keinen Hafen hatte. Um tüchtige und strebsame Glaubensflüchtlinge in seine neuen Hafenstädte zu locken, wandte der Dänenkönig dasselbe Mittel an wie der Gottorper Herzog: Er gewährte diesen weitgehend das Recht freier Religionsausübung und hob die Lebensverhältnisse in jenen Städten damit vorteilhaft von denen in Hamburg ab, in dem die dominierende Lutherische Kirche religiösen Minderheiten gegenüber durchaus intolerant war.


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3 Das mennonitische Bekenntnis der van der Smissens und ihre daraus resultierende Lebens- und Geisteshaltung sind ein bestimmende: Faktor für den Aufstieg und den späteren Niedergang der Familie gewesen. Daher sind einführend an dieser Stelle einige Hinweise auf Herkunft und Inhalt des mennonitischen Glaubens angezeigt. Die Mennoniten oder Taufgesinnten sind eine nach ihrem Stifter Simons Menno benannte protestantische Sekte, die erstmals etwa 1525 in Zürich auftritt und später ihren Schwerpunkt in den Niederlanden hat. Von dort verbreitet sie sich rasch über Europa und später insbesondere nach Übersee. Die Mennoniten verfolgen im Gegensatz zur hierarchisch organisierten katholischen und später auch protestantischen „Amtskirche“ das Prinzip einer Gemeinde, die ohne Rücksicht auf die Obrigkeit in der Nachfolge Christi steht. Diese soll sich nur aus überzeugten Christen zusammensetzen, woraus sich die Ablehnung der Kindstaufe und das Verlangen nach der Erwachsenentaufe ergibt. Dabei lehnen die Mennoniten Eidesleistung, Kriegsdienst sowie die Übernahme obrigkeitlicher Ämter ab. Jede staatliche oder sonstige Obrigkeit wird zwar praktisch als notwendig toleriert, aber als eine dem Reiche Christi fremde Einrichtung ungern gesehen. Ihre Kirche sehen die Mennoniten als eine Gemeinde der Heiligen, die durch strenge Kirchenzucht in der Reinheit der christlichen Lehre erhalten werden muß. Ihre Ältesten und Lehrer dienen ihrer Kirche unentgeltlich. Das Abendmahl feiern die Mennoniten als Gemeinschaftsmahl, also als Wiederholung der Tischgemeinschaft Jesu. Im Sinne eine; religiösen Urdemokratie geht alle Autorität von der versammelten Gemeinde aus und nicht von einer übergeordneten Organisation oder Person, wie beispielsweise einem Bischof. Daher sind jedenfalls in der alten Zeit die einzelnen mennonitischen Gemeinden voneinander völlig unabhängig und organisatorisch nicht miteinander verbunden. Eheschließungen mit Nichtmennoniten erfolgen jedenfalls in der alten Zeit praktisch kaum; daraus folgt eine überaus enge verwandtschaftliche und schwägerschaftliche Verflechtung innerhalb der meist relativ kleinen Mennonitengemeinden. Diese erreichte bei der Familie van der Smissen und der ihr vielfach versippten Familie Linnich eine an Inzucht erinnernde ungewöhnliche Intensität.

Es gab schon 1864 eine Van der Smissen Straße in Hamburg in der Nähe des Fischmarktes

B. Die Inhaber der „Handlung“
I. Die erste Generation

Der Begründer des Altonaer Zweiges der van der Smissens ist Gysbert II van der Smissen, der die erste Generation des hier zu beschreibenden Handelshauses repräsentiert. Er wurde zwar im Jahre 1620 noch in Haarlem geboren, kam dann aber schon l623 mit seinen Eltern nach Friedrichstadt und siedelte mit diesen 1644 nach Glückstadt und nach dem Niedergang dieser Neugründung 1682 nach Altona über. Dieses Jahr wird als Gründungsjahr des Handelshauses van der Smissen in Altona angesehen. Dort starb er 1685. In seinen Lebensbeschreibungen und in alten Urkunden wird er als „Bäcker, Reeder und Kaufmann“ bezeichnet. Damit ist der Rahmen umrissen, der für fünf Generationen das wirtschaftliche Fundament der Familie van der Smissen bilden sollte. Gysbert II lernte in Friedrichstadt das Bäckerhandwerk und übte dieses nach seiner Übersiedlung nach Glückstadt in einer eigenen „Weißbäckerei“ selbst aus. In Glückstadt gehörte er auch zu den Gründern des dortigen „Los- und Kuchenbäckeramtes“. Aus dem Getreideeinkauf für das nach und nach sich ausweitende Bäckereigeschäft entwickelte er schließlich einen größeren Kornhandel, wobei er sich – auch gestützt auf seine holländischen und sonstigen mennonitischen Verbindungen – Kenntnisse der Handels- und Schiffahrtswege und -verhältnisse aneignen konnte. Diese Kenntnisse erlaubten es Gysbert II, seine Aktivitäten auch auf den Bereich der Spedition und Kommission in anderen Gütern auszuweiten. Infolge der zentralen Lage Glückstadts als Umladeort für den gebrochenen See- und Landtransport auf der Route Holland/Lübeck konnte er sein Geschäft binnen weniger Jahre soweit ausbauen, daß er bereits 1658 als Reeder des Hollandfahrers „Bunte Press” erscheint. Nachdem er sich so in das Schiffahrtsgeschäft eingeschaltet hatte, gründete er später mit anderen Glückstädter Reedern die erste dortige Walfang-Gesellschaft und rüstete 1671 den ersten Grönlandfahrer aus. Die damalige, von den Elbhäfen ausgehende Grönlandfahrt diente dem Walfang und dem Robbenschlag. Die Schiffe waren derart gebaut, daß sie nicht nur nach Grönland eingesetzt werden konnten. Bei ungünstiger Jahreszeit waren sie vielmehr auch für die normale Kauffahrtei nach England, Frankreich und Holland einsetzbar.
Neben seinen Reederei-, Speditions-, Kommissions- und Bäckereigeschäften hat Gysbert II van der Smissen offenbar auch eine Brauerei betrieben; denn in einer Eintragung im Glückstädter Bürgerbuch vom 25.4.1670 anläßlich seiner Bürgerwerdung wird er wie folgt beschrieben:

„… ein brawer, Becker und Mennonit, gehöret unter die Niederl. Nation.“

Außerdem betätigte er sich offenbar kurze Zeit als Landwirt. Jedenfalls hatte er einen Hof vor dem Kremper Tor in Glückstadt, den er 1678 im Zusammenhang mit der beabsichtigten Übersiedlung nach Altona verkaufte. Diese Verlegung seines Wohnsitzes und seiner geschäftlichen Aktivitäten wurde endgültig im Jahre 1682 vollzogen, wobei in der das Familienschicksal beschreibenden Literatur der wirtschaftliche Niedergang Glückstadts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Grund angegeben wird. Eine andere Erklärung ist im Hinblick auf den beachtlichen Wohlstand, zu dem es Gysbert II van der Smissen in Glückstadt durch seine kaufmännischen und gewerblichen Unternehmungen in relativ kurzer Zeit gebracht hatte, auch schwer vorstellbar.
Gysbert II van der Smissen hatte aus seiner Ehe mit Cathalina Hendriks 10 Kinder. Sein ältester Sohn Daniel II van der Smissen setzte einen Teil der Geschäfte seines Vaters als Reeder, Bäcker und Brauer in Glückstadt fort und hatte im Jahre 1690 vier und im Jahre 1691 fünf Schiffe unter Bereederung. Er ist der Großvater des Portraitmalers Dominicus van der Smissen (1704 bis 1760), der ein Schüler und Schwager des bekannten Hamburger Portraitmalers Balthasar Denner war. Der zweite Sohn Jan van der Smissen ging nach Danzig, das den Mennoniten wie anderen Glaubensflüchtlingen ebenfalls weitgehende Religionsfreiheiten gewährte. Er wurde zum Gründer des Danziger Zweiges der Familie

Der Portalstein aus dem Wohn- und Geschäftshaus der Familie van der Smissen vom am Altonaer Fischmarkt um ca. 1770 besteht aus Sandstein. Er wurde 2014 restauriert mit Mitteln der Hans-Jürgen-Werner Stiftung. Das Gebäude wurde im 18. Jhd. An der Ecke Große Elbstraße Nr. 1 und Elbbrücke Nr. 11 erbaut und um 1890 im Zuge der Erweiterung des Altonaer Fischmarktes abgebrochen.

II.
Die zweite Generation In dem neunten Sohn von Gysbert II, Hinrich I van der Smissen, erwuchs der Familie eine weitere überragende Unternehmerpersönlichkeit, die die Grundlage für die ideelle Ausstrahlung und den materiellen Wohlstand des Handelshauses van der Smissen in den reichlich 50 Jahren seiner geschäftlichen Tätigkeit geschaffen hat. Hinrich I lebte von 1662 bis 1737. In jungen Jahren lernte er wie sein Vater das Bäckerhandwerk und war in der Bäckerei seines Vaters in Glückstadt tätig. Dann scheint er nach damaligem Brauch eine dreijährige Wanderschaft unternommen zu haben und siedelte 1682 mit seinem Vater nach Altona über. 1684 übernahm Hinrich I vorab die Bäckerei seines Vaters und entwickelte nach dessen Tod l685 das etwas eingeschlafene Kommissionsund Speditionsgeschäft zu neuer Blüte. Außerdem betätigte er sich als Reeder und schuf in Altona eine Art Hafeninfrastruktur, indem er als erster Speicher und Gewerbebetriebe im Hafengebiet an der Großen Elbstraße baute, Landerschließung, Straßenbau und Wohnungsbau in dem umfangreichen, von ihm angekauften Gelände zwischen dem Oberland an der Palmaille und dem Unterland an der Großen Elbstraße betrieb und endlich entgegen dem mennonitischen Prinzip der absoluten Distanz zur Obrigkeit als Mitglied der Wiederaufbaukommission nach der Einäscherung Altonas durch die Schweden im Jahre 1713 ein wichtiges öffentliches Amt bekleidete. All diese Aktivitäten trugen ihm den Beinamen eines „Städtegründers“ ein, womit ihm nach Auffassung eines seiner familienfremden Biographen „vielleicht ein wenig zuviel Ehre angetan wurde.“
Stellt man Hinrich I van der Smissen in den Zusammenhang der fünf Generationen von Namensträgern van der Smissen, die das Handelshaus in der Zeit von 1682 bis 1824 repräsentiert haben, so erscheint er als ein typischer Vertreter der zweiten Generation einer Unternehmerfamilie, die noch voll auf die Expansion ihrer geschäftlichen Unternehmungen konzentriert ist und sich uneingeschränkt den geschäftlichen Aktivitäten widmet, auch ungeachtet anderweitiqer Interessen einen ausschließlich unternehmensbezogene Lebensstil pflegt. In diesem Zusammenhang ist bei Hinrich I van der Smissen unabhängig von der durchaus vorhandenen Risikobereitschaft das deutliche Streben nach einer Risikostreuung unverkennbar. Es kommt zum einen in der Geschäftsphilosophie zum Ausdruck, nach der grundsätzlich kein Eigenhandel betrieben wurde, damit bei einem Verlust der Schiffe jedenfalls das wesentliche Ladungsrisiko nicht das eigene Unternehmen betraf, sondern bei Dritten verblieb. Unabhängig davon ergab sich eine wirksame Risikobegrenzung für das Gesamtvermögen der Familie aber auch durch die Streuung der kaufmännischen, gewerblichen und Immobilienaktivitäten, wobei die beiden letzteren grundsätzlich – auch haftungsmäßig – aus der eigentlichen „Handlung“ herausgehalten wurden. Waren die Ergebnisse der Handlung einmal nicht befriedigend, so blieben der vielköpfigen Familie zur Bestreitung ihres Lebensaufwandes immer noch die Pacht- und sonstigen Einnahmen aus den Gewerbebetrieben und für Not- und Ehrenfälle als Finanzierungsrücklage der umfangreiche Grund- und Schiffspartenbesitz, von dem man sich bei Bedarf schnell und kühl trennte.

1737: Hinrich I van der Smissen hinterlässt 500.000 Courantmark

Hinrich I van der Smissen war mit Maria de Voss (Schwester Elisabeth de Voss, verh. mit Jacob Linnich – 1665-1757) verheiratet, die aus einer angesehenen Mennonitenfamilie brabantischen Ursprunges in Altona stammte. Der Vater seiner Frau Peter III de Voss war dort Kaufmann und Bierbrauer. Der Ehe entstammten sechs Kinder.
Bei seinem Tode im Jahre 1737 hinterließ Hinrich I van der Smissen seinen Erben einen wohlgeordneten Nachlaß im Schätzwerte von 500.000 Courantmark. Außerdem errichtete er in seinem in holländischer Sprache abgefaßten Testament eine Familien- Fideikommiss (ein in Deutschland seit 1938 abgeschafftes Rechtsinstitut, das durch Stiftungsakt ein von der Erbmasse abgesondertes Vermögen schafft, das unveräußerlich und unteilbar ist und einer bestimmten Erbfolge unterlieg) zur Unterstützung etwa notleidender Nachkommen mit einer Ausstattung von 20.000 Reichsthalern. Die darin gebundenen Mittel sind nach dem Zusammenbruch der Handlung im Jahre 1824 für manche verarmte Angehörige des Hauses van der Smissen von großer wirtschaftlicher Bedeutung gewesen. Die Zahlungen aus dem Fideikommiss sind an die Berechtigten bis zur Auflösung der Fideikommisse durch die Weimarer Reichsverfassung im Jahre 1919 geleistet worden.

III. Die dritte Generation
Von den sechs Kindern des Hinrich I van der Smissen interessieren im Zusammenhang mit dem Handlungshaus nur seine beide jüngsten Söhne Hinrich II und Gysbert III. Beide hatten wohl schon nicht mehr das unternehmerische Format ihres Vaters, waren aber immerhin noch in der Lage, die Bedeutung des Unternehmens und der Gesamtfamilie zu mehren, so daß das Handlungshaus gegen Ende ihres Lebens in der Zeit zwischen 1780 und 1790 seine höchste Blüte erlebt haben dürfte. Nachdem Gysbert II und Hinrich I van der Smissen die Handlung jeweils als Alleininhaber geführt hatten, wurde mit der dritten Generation im Jahre 1737 für drei weitere Generationen ein duales System etabliert, in dem jeweils ein Vertreter des Stammes Hinrich II (ältere Linie des Altonaer Hauses) und des Stammes Gysbert III (jüngere Linie des Altonaer Hauses) Handlungsteilhaber und damit eine Art gemeinsamer Chef des Hauses wurde. Die beiden Brüder Hinrich II und Gysbert III van der Smissen waren ebenso wie ihre später als Handlungsteilhaber eingesetzten jeweiligen Söhne durchaus verschieden in ihren Fähigkeiten, Interessen und vor allem in ihrem Temperament. Sie ergänzten sich aber zum Wohl des Unternehmens und des gesamten Hauses offenbar sehr gut und vermieden dadurch die denkbaren Nachteile einer dualen Innehabung der Handlung und Leitung der Familiengeschicke.

l. Hinrich II van der Smissen
Hinrich II lebte von 1704 bis 1789, verbrachte von 1718 bis 1721 drei Jahre als Handlungslehrling bei einem der Familie befreundeten mennonitischen Kaufmann in Haarlem und wurde nach langjähriger Tätigkeit als Angestellter in der väterlichen Firma 1737 deren Mitinhaber. Er scheint, wohl auch bedingt durch seine schon frühzeitig eingetretene starke Schwerhörigkeit, ein eher stiller und introvertierter Mann gewesen zu sein, der sich ganz auf seine kaufmännischen Geschäfte und im Rahmen der Handlung wiederum auf deren Innenbetrieb konzentrierte. Von über das Geschäft hinaus gehenden Interessen ist in den Beschreibungen seines Lebens nichts zu finden. Daraus ist wohl zu schließen, daß derartige Interessen bei ihm im Gegensatz zu seinem Bruder nicht vorhanden waren. Seine Lebensführung war schlicht und sparsam. Größere Reisen scheint er – anders als sein Bruder – nur einmal 1766/68 unternommen zu haben. Bei dieser Lebensweise und den Erbschaften nach seinen drei Ehefrauen, die er alle überlebte, verwundert es nicht, daß er ein recht vermögender Mann war, der seine reichlichen Mittel ganz überwiegend in der Handlung beließ oder ihr diese zuführte.
Dadurch scheint er im Verhältnis der beiden Brüder zueinander das finanzielle Rückgrat der Handlung in der Mitte und zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewesen zu sein. Im Gegensatz zu den anderen Handlungsteilhabern vor und nach ihm, die durchaus Sinn für eine gewisse Selbstdarstellung für die Nachwelt hatten und von denen daher Portraits existieren, scheint Hinrich II van der Smissen niemals portraitiert worden zu sein.

Aus seinen drei Ehen hatte Hinrich II van der Smissen insgesamt fünf Kinder, die mit Ausnahme seines Erben und Nachfolgers als Handlungsteilhaber Hinrich III van der Smissen indessen alle im Kindesalter verstarben.

Gysbert III van der Smissen: Begründer der jüngeren Linie des Altonaer Hauses

Gysbert III lebte von 1717 bis 1793. Er ist der Begründer der jüngeren Linie des Altonaer Hauses Van der Smissen. 15jährig wurde er für zwei Jahre in eine kaufmännische Lehre nach England gegeben, arbeitete danach als Angestellter in der väterlichen Firma, war dann l736 nochmals zur weiteren Ausbildung in Holland und England tätig und wurde 1737 als Zwanzigjähriger Teilhaber der Handlung. Im Jahre 1760 gründete er die Altonaer Gesellschaft der Commerzierenden, die eine Art privater Handelskammer und ein Vorläufer des Altonaer Kommerz-Kollegiums war, das wiederum einen Vorläufer der späteren Handelskammer von Altona darstellt. In diesem Kommerz-Kollegium war Gysbert III van der Smissen von 1762 bis 1782 Mitglied. 1763 legte er in diesem Gremium eigene Pläne zum Ausbau und zur Sicherung des Altonaer Hafens vor. Von seinem älteren Bruder und Partner Hinrich II unterschied er sich durch sein lebhaftes Wesen, seine Lebensart und seinen Geist. War sein Bruder mehr eine Art Innenminister des Handelshauses van der Smissen, so agierte er eher als eine Art Außenminister. In diesem Rahmen unterhielt er auf den verschiedensten, über das Geschäftliche weit hinausgehende Ebenen persönliche Verbindungen zu maßgeblichen Persönlichkeiten seiner Zeit, vor allem im Bereich der dänischen Krone. Er war ein Verehrer seines Landesherrn, des Königs Friedrich V. von Dänemark, und des königlichen Hauses und fand bei Hofe stets freundliche Aufnahme für seine gelegentlichen Anliegen. Mit des Königs Minister Graf Bernstorff verband ihn eine persönliche Freundschaft. Auch dessen Widersacher Dr. Struensee kannte er persönlich aus dessen Zeiten als Altonaer Stadtphysikus. Endlich gehörte er zu dem Flottbecker Kreis um Baron Voght. Politisch war er fortschrittlich eingestellt und zeigte sich nach 1789 im Alter von über 70 Jahren noch als Anhänger der Gedanken, die die Französische Revolution auslösten. Allerdings blieb er dabei Realist. So schrieb er beispielsweise im Jahre 1791 an einen Freund:

„Die Vereinigung der europäischen Mächte in Liebe und Aufrichtigkeit bleiben wohl, wie es von je der Welt Lauf war, mehr ein frommer Wunsch als sichere Erwartung.“

Sein Aufwand für seine und seiner Familie Lebenshaltung war – gemessen an dem seines Bruders Hinrich II – ungleich größer. Das lag zum einen an seiner Freude an großzügiger Lebensführung und zum anderen an seinen zahlreichen Reisen, die ihn auf angemessene Kleidung, Equipage und Bedienung Bedacht nehmen ließen. Den damaligen Auffassungen entsprechend ging Gysbert III dabei wohl zu Recht davon aus, daß die Art seines Auftretens nach außen den Kredit des Handelshauses festigen müsse. Gysbert III’s Persönlichkeit scheint einerseits durch eine gewisse Eitelkeit und das durchaus vorhandene Gefühl für Wert und Bedeutung der eigenen Position und andererseits durch beachtliche finanzielle Freigebigkeit und Wohltätigkeit gekennzeichnet zu sein. In seinen letzten Lebensjahren war er von Taubheit und Blindheit geschlagen und lebte zurückgezogen und abgeklärt nur noch seinen geistigen und geistlichen Interessen sowie seinen Kindern, Enkeln und Urenkeln. Aber auch in diesen Jahren hat er seine umfangreiche Korrespondenz noch fortgesetzt, indem er seine Briefe seinem Sekretär in die Feder diktierte. Gysbert III. van der Smissen war zweimal verheiratet, und zwar zum ersten Mal mit Helena Linnich und nach deren Tod mit deren Schwester Elisabeth Linnich. Beide waren Töchter des Altonaer Kaufmannes Jakob III Linnich. Aus der ersten Ehe stammte sein Sohn Jakob Gysbert van der Smissen, aus der zweiten Ehe seine Tochter Helena Elisabeth van der Smissen sowie drei weitere Kinder, welche alle kurz nach der Geburt starben.

IV. Die vierte Generation: 1793 zwei Chefs im Hause

Auch in dieser vierten Generation wurde die duale Führung des Handelshauses fortgesetzt. Hinrich III van der Smissen als einziger Sohn von Hinrich II van der Smissen und Jacob Gysbert van der Smissen als einziger Sohn von Gysbert III van der Smissen traten 1881 als Teilhaber in die Handlung ein und übernahmen mit dem Tode von Gysbert III van der Smissen im Jahre 1793 die Position von gemeinschaftlichen Chefs des Hauses.

1. Hinrich III van der Smissen

Hinrich III lebte von 1742 bis 1814. Das Kaufmannsgewerbe erlernte er in der Handlung des Hinrich Theunis de Jager in Hamburg. Danach war er einige Zeit in der väterlichen Handlung als Angestellter tätig. In den Jahren 1766 bis 1768 unternahm Hinrich II van der Smissen mit ihm und seinem Vetter Jacob Gysbert eine Reise nach Holland, Belgien, Frankreich und England, um die beiden zukünftigen Handlungsteilhaber mit den dortigen Geschäftsfreunden und Korrespondenten des Hauses bekanntzumachen und die bestehenden Geschäftsverbindungen zu erweitern. In seinen persönlichen Eigenschaften scheint Hinrich III seinem Vater Hinrich II sehr ähnlich gewesen zu sein. Ein Zeitgenosse schildert ihn wie folgt:

„Er war an Charakter und Temperament sehr verschieden von seinem Schwager und Kompagnon, man könnte ihn einen von den Stillen im Lande nennen, demüthig und liebreich gegen alle, nachgibig gegen die Meinungen und Handlungen anderer, gegen Arme und Notleidende jederzeit zur Hülfe und Unterstützung bereit, lebend und webend in der Religion und in dem Gebetsumgang mit dem Herrn, endlich glücklich allein in seiner Familie und in der gewohnten Lebensweise.“

1770 heiratete Hinrich III van der Smissen seine Kusine Helena Elisabeth van der Smissen, die Tochter seines Onkels und späteren Seniorpartners Gysbert III van der Smissen. Diese wird als „durch geistige Frische und Lebendigkeit ausgezeichnet“ oder als „vorwiegend sanguinischen Temperaments“ beschrieben. Aus dieser Ehe gingen sieben Kinder hervor.

2 Jacob Gysbert van der Smissen

Dieser Sohn des Gysbert III wurde 1746 geboren und starb 1829. Er hat damit den Zusammenbruch des Handelshauses im Jahre 1824 noch erlebt. Seine kaufmännische Ausbildung erhielt er für fünf Jahre im Kontor einer befreundeten Firma in Rotterdam. Danach war er als Angestellter in der väterlichen Firma tätig und machte in den Jahren 1766 bis 1768 die schon erwähnte Reise mit seinem Onkel Hinrich Il und seinem Vetter und nachmaligem Schwager Hinrich III van der Smissen nach Holland, Belgien, Frankreich und England. 1781 trat er als Teilhaber in die väterliche Handlung ein.

In seiner Wesensart ähnelte Jacob Gysbert van der Smissen offenbar ebenso seinem Vater wie Hinrich III dem seinen. Der Schwerpunkt seiner Interessen lag allerdings nicht wie bei seinem Vater auf politischem Gebiet, sondern vielmehr auf religiösem. So hat er sich in der christlichen Erweckungsbewegung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hervorgetan, Er stand in engen Beziehungen zur Herrenhuter Brüdergemeinde und zu der 1780 gegründeten „Deutschen Gesellschaft zur Beförderung reiner Lehre und Gottseeligkeit“ in Basel, die auch als Deutsche Christentumsgesellschaft bekannt geworden ist. Aus dieser Zusammenarbeit heraus wurde er Mitbegründer der von der Deutschen Christentumsgesellschaft 1781 ins Leben gerufenen Zeitschrift „Basler Sammlungen“, für die er eine große Anzahl von Aufsätzen geschrieben und den Vertrieb und die Verteilung der Zeitschrift von Altona aus im norddeutschen Raum, nach England und nach Nordamerika organisiert hat.

Pietismus als einigendes Band gegen den Rationalismus

Diese Interessen und Tätigkeiten brachten Jacob Gysbert in Kontakt mit vielen religiös interessierten und aktiven Persönlichkeiten. Mit diesen unterhielt er einen ausgedehnten Briefwechsel und besuchte sie auf seinen Reisen. So ist er beispielsweise mehrfach in Herrenhut gewesen. Interessant ist dabei, daß er sich in seiner geistlichen Tätigkeit als erster Angehöriger der Familie nicht mehr auf Mennoniten beschränkte. Seine Freunde und Bekannten waren vielmehr Christen aller Glaubensrichtungen. Das verbindende Element zwischen ihnen war der gegen Ausgang des 18. Jahrhunderts stärker in Erscheinung getretene Pietismus, zu dem sich die große Mehrzahl aller religiös Interessierten zu jener Zeit bekannte. Der Pietismus war das einigende Band gegen den Rationalismus; er führte zu einem Ausgleich der Gegensätze zwischen den verschiedenen nicht-katholischen christlichen Konfessionen und zu einem Gefühl der Verbundenheit aller nicht-katholischen Glaubensrichtungen des Christentums. Aber selbst katholische Priester hielten in ihrem Kampf gegen den Rationalismus Kontakt zu den pietistischen Kreisen.

Aus der vorliegenden Korrespondenz läßt sich beispielsweise der geistige Austausch von Jacob Gysbert mit dem Philosophen Lavater (Johann Caspar Lavater, auch Johann Kaspar Lavater (* 15. November 1741 in Zürich; † 2. Januar 1801 ebenda), war ein reformierter Schweizer Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller in der Zeit der Aufklärung sowie ein Hauptvertreter der Physiognomik, Anm. der Redaktion) sowie dem Mystiker Jung- Stilling (Johann Heinrich Jung (genannt Jung-Stilling; auch Heinrich Jung; * 12. September 1740 in Grund im Siegerland; † 2. April 1817 in Karlsruhe) war ein deutscher Augenarzt, Staatsrechtler, Wirtschaftswissenschaftler und mystisch-spiritualistischer Schriftsteller, Anm. der Redaktion) nachweisen. Lavater war im Jahre 1793 Gast im Hause Jacob Gysberts in Altona.

Aus der vorliegenden Korrespondenz läßt sich beispielsweise der geistige Austausch von Jacob Gysbert mit dem Philosophen Lavater (Johann Caspar Lavater, auch Johann Kaspar Lavater (* 15. November 1741 in Zürich; † 2. Januar 1801 ebenda), war ein reformierter Schweizer Pfarrer, Philosoph und Schriftsteller in der Zeit der Aufklärung sowie ein Hauptvertreter der Physiognomik, Anm. der Redaktion) sowie dem Mystiker Jung- Stilling (Johann Heinrich Jung (genannt Jung-Stilling; auch Heinrich Jung; * 12. September 1740 in Grund im Siegerland; † 2. April 1817 in Karlsruhe) war ein deutscher Augenarzt, Staatsrechtler, Wirtschaftswissenschaftler und mystisch-spiritualistischer Schriftsteller, Anm. der Redaktion) nachweisen. Lavater war im Jahre 1793 Gast im Hause Jacob Gysberts in Altona.

So befruchtend die geistigen und geistlichen Interessen Jacob Gysberts für das Geistes- und Seelenleben der Familie van der Smissen waren, so nachteilig haben sie sich naturgemäß auf die geschäftliche Entwicklung des Handelshauses ausgewirkt. Zum einen konzentrierte Jacob Gysbert sich im Gegensatz zu seinen Vorvätern nicht mehr vorwiegend oder ausschließlich auf die Geschäfte des Handelshauses, zum anderen führten seine Aktivitäten dazu, daß fast alle Angehörigen der Kernfamilie van der Smissen begeisterte Pietisten mit der Folge wurden, daß sich ein allgemeiner Realitätsverlust einstellte. Die daraus resultierende innere Schwächung der Familie im täglichen Konkurrenzkampf machte das Handelshaus naturgemäß gegenüber den Herausforderungen der heraufziehenden napoleonischen Zeit und der damit zusammenhängenden Kontinentalsperre (Die Kontinentalsperre war eine von Napoleon am 21. November 1806 in Berlin verfügte Wirtschaftsblockade über das Vereinigte Königreich und dessen Kolonien. Das in Frankreich schon 1796 bestehende Importverbot für britische Waren wurde infolge der militärischen Siege Napoleons auf die kontinentaleuropäischen Staaten ausgeweitet. Großbritannien sollte mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges zu Verhandlungen mit Frankreich gezwungen und die französische Wirtschaft gegen europäische und transatlantische Konkurrenz geschützt werden. Die Kontinentalsperre bestand von 1806 bis 1813, Anm. der Redaktion) durch die Engländer besonders anfällig. Ein Enkel Jacob Gysberts hat in einem Brief seinen Großvater zusammenfassend wie folgt geschildert:

„Sein Herr und Heiland ging ihm über alles, aber auch nur eine Linie tiefer stand ihm die Handlung, Frau und Kind waren eigentlich nur Nebenpersonen.“

Jacob Gysbert van der Smissen war in der vierten Generation sicherlich der bedeutendere Handlungsteilhaber. Das hat aber glücklicherweise nicht zu einer Beeinträchtigung der päritätischen Stellung beider Partner der Handlung geführt, da Jacob Gysbert von seinem Vater Gysbert III außer seinen geistigen und geistlichen Interessen auch dessen finanzielle Großzügigkeit geerbt hatte. So hat auch Jacob Gysbert der Handlung eher Kapitalien entzogen, als ihr solche zugeführt. Dadurch blieb sein Partner Hinrich III jedenfalls bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts der finanziell stärkere Handlungsteilhaber. Dieses wirtschaftliche Übergewicht wurde noch verstärkt durch dessen Eheschließung mit Jacob Gysberts Schwester Helena Elisabeth van der Smissen, durch die die Hälfte der Erbschaft Gysbert III´s van der Smissen in die ältere Linie des Altonaer Hauses überging.

Jacob Gysbert war in erster Ehe mit seiner Kusine Helena Linnich verheiratet, mit der er fünf Kinder hatte, nach dem Tod seiner Frau heiratete er eine wohlhabende Amsterdamer Mennonitin, Hillegonda Jacoba Deknatel.

V Die fünfte Generation

In die Zeit der Handlungsteilhaberschaft der beiden Stammesvertreter der V. Generation fällt die von ihnen nicht bestandene Herausforderung durch die veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der napoleonischen Zeit und damit zusammenhängend, insbesondere der Kontinentalsperre durch die Engländer, die zeitweilig einen völligen Zusammenbruch der Geschäfte mit sich brachte. Als sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse etwa ab 1814 wieder normalisierten, waren die Angehörigen der V. Generation nicht mehr in der Lage, die Geschäfte des Handelshauses unter den veränderten Verhältnissen und insbesondere im verschärften Konkurrenzkampf mit dem Hamburger Handel wieder aufzubauen. Von da an ging es mit der Handlung und damit der wirtschaftlichen Bedeutung des Handelshauses ständig bergab, bis es 1824 zu dessen Zusammenbruch kam.

1. Gysbert III jr. van der Smissen

Hinrich III’s van der Smissen 3. Kind Gysbert III jr. lebte von 1777 bis 1857. 1790 kam er bei einem Verwandten der Familie in Haarlem in die kaufmännische Lehre und arbeitete danach in der väterlichen Firma, deren Teilhaber er 1809 wurde. In einer Familienbiographie wird er als „gütig, charakterschwach, unentschlossen“ und als ein „mehr wissenschaftlicher Gelehrter als wirtschaftlich denkender Mensch“ beschrieben. Gysbert III jr. van der Smissen war mit Catharina de Jager verheiratet, mit der er elf Kinder hatte.

2. Gilbert (Gysbert IV) van der Smissen Jacob Gysberts ältester Sohn Gysbert IV van der Smissen

lebte von 1777 bis 1843. Nach kaufmännischer Ausbildung bei einer befreundeten Familie in Hoor in Holland und mehrjähriger Tätigkeit als Angestellter in der väterlichen Firma ging er zur weiteren Ausbildung zu einem befreundeten Londoner Handelshaus. Seit dieser Zeit nannte er sich nach englischer Art Gilbert. 1809 wurde er als Teilhaber zusammen mit seinem Vetter (und Schwager) Gysbert III jr. in die väterliche Firma aufgenommen. In deren Leitung hat er sich nicht bewährt. Ebenso wie sein Partner Gysbert III jr. van der Smissen hatte er keinerlei kaufmännische Begabung und darüber hinaus wohl wenig Durchsetzungskraft. Auf das Handlungshaus insgesamt und besonders die Handlung wirkte sich seine Entscheidung negativ aus, sich im Jahre 1809 dem Wunsch seiner beiden Seniorpartner und seines Mitjuniorpartners nach freiwilliger Liquidation der Handlung als Folge von zwei Verlustjahren zu widersetzen. Gilbert van der Smissen war mit seiner Kusine Elisabeth van der Smissen, dem vierten Kind seines Seniorpartners Hinrich III van der Smissen in kinderloser Ehe verheiratet.

3. Johann Wilhelm Mannhardt und Anna Mannhardt geb. van der Smissen

An dieser Stelle bedarf eine Persönlichkeit einer kurzen Erwähnung, obwohl sie weder blutsmäßig zur Familie van der Smissen gehört noch jemals Handlungsteilhaber war: Johann Wilhelm Mannhardt, der Ehemann von Hinrich III’s ältester Tochter Anna van der Smissen wurde 1760 im Württembergischen als Sohn eines Schulmeisters geboren, auf der Maulbronner Klosterschule erzogen, in Tübingen zum Magister der Theologie promoviert und 1781 von Jacob Gysbert van der Smissen als Hauslehrer seiner drei Kinder verpflichtet. Kurze Zeit später übergab ihm auch Hinrich III van der Smissen seine sieben Kinder zur Erziehung. Das führte dazu, daß Mannhardt, der eine sehr prägende Persönlichkeit gewesen sein muß, entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung aller Angehörigen der V. Generation ausübte. 1790 heiratete er – obgleich überzeugter Lutheraner – Anna van der Smissen, die älteste Tochter Hinrich III’s van der Smissen, mit der er acht Kinder hatte. Nachdem seine zehn Zöglinge aus der V. Generation nach und nach seiner Erziehung entwachsen waren, zog es Mannhardt zur Betätigung in der Landwirtschaft.

Nach verschiedenen Fehlschlägen auf diesem Weg kaufte ihm sein Schwiegervater Hinrich III van der Smissen im Jahre 1799 für 675.000 Courantmark das Gut Hanerau im Kreis Rendsburg, dessen Vergrößerung, Melioration und Bewirtschaftung sich Mannhardt bis zu seinem Tode im Jahre 1831 widmete. Das bei dem Gut neu erstandene Dorf Hanerau ist die Schöpfung Mannhardts. Er legte dort Gewerbebetriebe an, schuf eine Spar- und Leihkasse und zog zahlreiche auswanderungswillige württembergische Landsleute dorthin nach. Für seine Verdienste um die Entwicklung Haneraus wurde Mannhardt 1810 vom Dänischen König zum Ritter des Danebrog-Ordens ernannt.

Die Auswirkungen der Aktivitäten Mannhardts auf das Handelshaus van der Smissen werden unterschiedlich beurteilt. Sicher ist, daß diesem durch Ankauf und Melioration des Gutes Hanerau Beträge in der Größenordnung zwischen Courantmark 600.000 und 700.000 entzogen wurden, die dem Handelshaus gerade in der Zeit seines Niederganges bitter fehlten. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß nach dem Zusammenbruch der Handlung im Jahre 1824 zahlreiche in Altona wohnende und nunmehr verarmte Angehörige der Familie van der Smissen in Hanerau Zuflucht suchten und dort von Mannhardt und seiner Frau Anna verwandtschaftlich aufgenommen wurden. Aus der Sicht der Nachkommen Johann Wilhelm Mannhardts, von denen einige heute noch das Gut Hanerau bewirtschaften und die weitgehend noch in Hanerau auf dem von ihm nach Herrenhuter Brüdergemeineart angelegten Friedhof beerdigt werden, stellen sich seine Aktivitäten naturgemäß als segensreich dar, da das Gut Hanerau der einzige maßgebliche Vermögensgegenstand war, der aus dem Zusammenbruch des Handelshauses Van der Smissen für einen Teil der Nachkommen der Familie gerettet werden konnte.

C Die wirtschaftlichen Grundlagen des Handelshauses

I Der Grundbesitz und die Gewerbebetriebe

1 Das Stammgrundstück der van der Smissens in Altona lag an der Ecke Große Elbstraße und Elbbrücke, aus heutiger Sicht an der Westseite des jetzigen St. Pauli Fischmarktes, etwa da, wo die alte Fischauktionshalle kürzlich restauriert werden ist. in den Baulichkeiten dieses Grundstückes wohnte die Familie und betrieb im Keller ihre Bäckerei. Außerdem war darin das Kontor der „Handlung“ untergebracht. Hinrich I baute dort auch die ersten Lagerschuppen für die Grönlandfahrt. Das Haus blieb Wohnsitz verschiedener Handlungsteilhaber bis zum Zusammenbruch der Handlung im Jahre 1824. Bei der Erweiterung des Altonaer Fischmarktes im Jahre 1880 wurden sämtliche Baulichkeiten auf dem Stammgrundstücke abgebrochen.

2 Vom Jahre 1700 an kaufte Hinrich I van der Smissen nach und nach zahlreiche Grundstücke am Elbhang zwischen der Palmaille im Altonaer Oberland und der Großen Elbstraße im Altonaer Unterland auf und betrieb auf den Oberlandgrundstücken Wohnungsbau, während er auf den Strandgrundstücken im Unterland Bollwerke zum Festmachen der Schiffe und zur Errichtung von Lagerschuppen anlegte. Der gesamte südlich der Palmaille erworbene Grundbesitz hatte eine Größe von ca. 60.000 m2 und nahm aus heutiger Sicht die südliche Seite der Palmaille etwa zwischen den beiden Hochhäusern ein, wobei er an die Palmaille in einer Länge von ca. 335 Meter grenzte. Auf dem neu erworbenen Gelände beiderseits der Großen Elbstraße baute Hinrich I van der Smissen Gewerbebetriebe, die er weitgehend verpachtete. Auf dem Oberland wurden an der Südseite der Palmaille zahlreiche Wohnhäuser gebaut und das übrige Gelände in einen Park umgewandelt, in dem die Angehörigen der Familie van der Smissen sich im Sommer aufhielten.

Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert gab es außerhalb der Stadt Altona, die damals vom Altonaer Fischmarkt nur etwa bis zu dem heutigen östlich gelegenen Hochhaus an der Palmaille reichte, noch keine Straßenverbindung zwischen dem Oberland und dem Unterland. Hinrich I van der Smissen ließ deshalb im Jahre 1707 eine im rechten Winkel zur Palmaille und zur großen Elbstraße verlaufende Straße durch den Elbhang graben. Diese wurde gepflastert und mit Linden bepflanzt. Das ausgegrabene Erdreich wurde am Elbstrand abgelagert und diese Privatstraße in das so neugewonnene Land hinein verlängert, so daß sie schließlich eine Gesamtlänge von 265 m hatte. Später legte Hinrich I zur besseren Erschließung seines Hanggeländes eine noch heute vorhandene weitere Straße im rechten Winkel zu seiner Privatstraße an, die dann Carolinenstraße genannt wurde. Gysbert III van der Smissen erreichte es nach dem Tode seines Vaters, daß die Privatstraße zwischen Palmaille, Großer Elbstraße und den Bollwerken den Namen van der Smissen’s Allee erhielt.

Nach dem letzten Weltkrieg wurde die van der Smissen’s Allee aufgehoben. Sie ist aber in ihrem Verlauf von der Palmaille gegenüber der Einmündung Behnstraße über die Einmündung der früheren Carolinenstraße bis zur Straßenzufahrt des nach dem letzten Kriege gebauten, inzwischen stillgelegten Altonaer Fischereihafens noch deutlich erkennbar.

3 Die Gewerbebetriebe der Familie van der Smissen lagen vorwiegend im Unterland beiderseits der großen Elbstraße und bestanden aus Bäckereien, Färbereien, einer Schiffwerft, einer Sägerei und einer Stärkemacherei einer Ankerschmiede und später auch einer Brauerei. Außerhalb der Altonaer Grenzen wurde von der Familie auch Mühlen betrieben.

Der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit der Familie van der Smissen lag im Bereich der Bäckerei. Sowohl Hinrich I als auch seine Söhne Hinrich II und Gysbert III waren Meister des Altonaer Los- und Kuchenbäckeramtes. Während Hinrich I seine Bäckereien als gelernter Bäcker indessen noch selbst betrieb, hatten seine Söhne das Bäckerhandwerk nicht mehr zunftmäßig gelernt und mußten diese daher an andere Meister des Amtes verpachten. Nach dem Tode Hinrich I’s im Jahre 1737 nahm das wirtschaftliche Gewicht des Bäckereigewerbes für die Familie nach und nach ab. Die Bäckereien bekamen dann aber nach dem Zusammenbruch der Handlung im Jahre 1824 für die Familie nochmals große Bedeutung, weil sich verschiedene Familienangehörige, die das Bäckerhandwerk zunftmäßig gelernt hatten, auf diese Bäckereien zurückziehen und aus deren Einkünften sich und ihre Angehörigen ernähren konnten. Die wirtschaftliche Blüte der Bäckereien der Familien war wesentlich mit durch deren Spezialisierung auf die Herstellung und Lieferung von Schiffszwieback an die Altonaer Flotte bedingt. Außerdem betrieb die Familie aus ihren Bäckereien einen lebhaften Brot- und Zwieback-Export nach Island, wo die Grönlandfahrer ihren Brotvorrat ergänzen konnten.

4 Außerhalb Altonas hat die Familie van der Smissen nach und nach weitere Grundstücke erworben. So ersteigerten Hinrich II und Gysbert III van der Smissen gemeinsam den in der Ottensener Gemarkung an der Grenze zu Altona gelegenen Slavshof, der aus heutiger Sicht auf dem Gelände südlich der Kloppstockkirche und der Einmündung der Elbchaussee in die Palmaille gelegen war, auf dem später die Rainville-Terrassen errichtet wurden.

Jacob Gysbert van der Smissen erwarb 1798 an der damaligen Flottbeker Chaussee, der heutigen Elbchaussee oberhalb Oevelgönnes ein größeres Grundstück am Elbhang, auf dem er 1800 ein Landhaus baute und das er im Übrigen zu einem Park herrichten ließ.

Noch weiter westlich entlang der Elbchaussee erwarb Hinrich I van der Smissen zunächst auf der Grundlage eines Pachtvertrages und später als Eigentümer ein landsitzähnliches Gelände am Lünkenberg in Kleinflottbek, das aus heutiger Sicht etwa das im wesentlichen Vorwerk’sche und Wesselhöft’sche Gelände zwischen der Baron-Voght-Straße, dem Quellental, der Georg-Bonne-Straße und dem Lünkenberg umfaßt. Dort baute und betrieb er auf dem oberen Teil des Geländes eine Windmühle zum Grütz- und Graupenmahlen und auf dem unteren Teil des Geländes an den noch heute vorhandenen Teichen eine Wassermühle, die als Ölmühle konzipiert war. Nach der Stilllegung der beiden Mühlen wurde das Gelände von der Familie van der Smissen nur noch als Landsitz benutzt und später an Baron Voght verkauft.

Zeitweilig besaß die Familie van der Smissen auch einige Höfe auf der Halbinsel Eiderstedt, an die sie teils gemeinsam mit und teils über den ihnen schwägerschaftlich über verschiedene Eheschließungen von Familienangehörigen eng versippten Friedrichstädter Bürgermeister Nicolaus Ovens gekommen war. Indessen hat keiner der Familienangehörigen sich auf diesen Höfen landwirtschaftlich betätigt. Diese waren verpachtet und dienten lediglich als Finanzanlagen, von denen man sich bei Liquiditätsbedarf für die Handlung oder andere Unternehmungen der Familie kurzfristig trennte.

5 Im Rahmen der Grundstücksgeschäfte der Familie van der Smissen muß nochmals das Gut Hanerau im Kreise Rendsburg erwähnt werden, auf das ich bei der Erwähnung von Johann Wilhelm Mannhardt, dem Schwiegersohn Hinrich III’s van der Smissen bereits kurz eingegangen bin. Hanerau ist seit 1799 im Besitz der Nachkommen der Familie van der Smissen und repräsentiert den einzigen erfolgreichen Versuch der Familie, sich nachhaltig in der Landwirtschaft selbst zu betätigen. Zwar hat auf Hanerau niemals ein Namensträger van der Smissen gewirtschaftet; aber die Mittel zum Erwerb, der Melioration und Vergrößerung des Gutes stammten ausschließlich aus der Handlung bzw. dem Privatvermögen von Hinrich III van der Smissen. Außerdem betrachten alle Nachfahren des Hanerauer Ehepaares Johann Wilhelm und Anna Mannhardt diese geborene van der Smissen als eine Art Stammutter.

Interessant ist, daß Mannhardt in Hanerau dieselbe Kolonisation und Stadtentwicklung betrieben hat, die Hinrich I van der Smissen in der Frühzeit Altonas dieser Stadt zugute kommen ließ.

II Die Handlung

1 Die Handlung war das wirtschaftliche Rückgrat des Handelshauses van der Smissen. Sie war gekennzeichnet durch Aktivitäten im Reederei-, Kommission- und Speditionsgeschäft. Insoweit fanden Gysbert II und Hinrich I van der Smissen, als sie sich mit der Handlung 1682 in Altona niederließen, jungfräulichen Boden vor. Dort gab es damals noch keinen Seehandel. Die Altonaer Wirtschaft war vielmehr von Gewerbe und Landwirtschaft gekennzeichnet. Später entwickelte sich in Altona die dort bereits betriebene Grönlandfahrt, die indessen ebenso wie der sonstige sich allmählich entwickelnde Altonaer Handel unter der Konkurrenz und der Ablehnung der Hamburger Kaufmannschaft litt. In diesem Bereich ist es zwischen den beiden Städten auch immer wieder zu wirtschaftlichen Krisen gekommen. Ungeachtet der mächtigen Konkurrenz der maßgeblichen Hamburger Firmen konnten sich die führenden Altonaer Kaufleute aber letzten Endes im internationalen Handel halten. Zu diesen gehörte ab etwa 1680/90 auch die zunächst unter dem Namen H. van der Smissen und ab 1737 unter dem Namen H. van der Smissen Söhne firmierende

Handlung, die im Zeitpunkt des Todes Hinrich I’s im Jahre 1737 als eines der bedeutendsten Unternehmen Altonas angesehen wird. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die positive Entwicklung der Handlung bis etwa 1790 anhielt. Zu dieser Zeit mußten die Handlungsteilhaber vertraglich insgesamt immer mindestens Courantmark 250.000 an Gesellschaftskapital in der Handlung vorhalten.

Im Bereich des Handels hat die Handlung selbst immer nur Speditions- und Kommissionsgeschäfte betrieben. Wenn Eigenhandelsgeschäfte wirklich einmal durchgeführt wurden, geschah dies stehts für Rechnung eines oder mehrerer Inhaber. Die Kommissionsgüter wurden meistens von den großen europäischen Märkten wie insbesondere Amsterdam und London bezogen, doch entwickelte sich auch ein bedeutendes Geschäft mit anderen kontinentalen und später sogar nordamerikanischen Plätzen wie Boston und Philadelphia. Hauptkommissionsgüter waren Kaffee, Tabak, Reis, Zucker, Baumwolle, Korinthen, Rosinen, Kaneel, Öl, Pfeffer, Indigo. Von all diesen Waren unterhielt die Handlung in Altona ein bedeutendes Lager. Im Ausland wurden die Geschäfte durch Korrespondenten ausgeführt. Im Exportgeschäft überwog die reine Spedition. Meistens wurden Stückgüter exportiert. Der Import war bedeutender als der Export. Die Haupthandelsverbindungen der Handlung gingen in alle Teile Deutschlands sowie nach Holland, England, Frankreich, Portugal, Spanien, Italien und Nordamerika. Demgegenüber war das Geschäft mit den nordischen Staaten – insbesondere das Ostseegeschäft – unbedeutend. Die Verbindung zu den Korrespondenten and Geschäftsfreunden wurde durch regelmäßige Korrespondenz sowie gelegentliche Reisen der Handlungsteilhaber und ihrer Söhne aufrechterhalten und gefestigt. In diesem Sinne ist auch die Ausbildung der zukünftigen Handlungsteilhaber bei Geschäftsfreunden in Holland und England zu verstehen.

Sämtliche Verschiffungen wurden versichert, und zwar durch die Handlung als Spediteur oder Kommissionär. Die Versicherungsdeckung erfolgte grundsätzlich im Hamburger Markt und nur bei größeren Partien unter Zuhilfenahme des Amsterdamer, Lübecker und Kopenhagener Versicherungsmarktes.

Ungeachtet der oft gespannten Verhältnisse zwischen den Städten Altona und Hamburg benutzte die Handlung die Hamburger Handelseinrichtungen im Bereich von Hafen, Bank und Börsen mit. Das Abrechnungsgeschäft wurde überwiegend durch Wechsel erledigt, wobei das Wechselgeschäft der Handlung später über den Rahmen ihres Handels hinausgegangen zu sein scheint. Man wird die Firma H. van der Smissen Söhne daher als eine Art Merchant Banker im englischen Sinne ansehen können, die national und international großen Kredit besaß. Die Handlung gab eigene Wechselkurse heraus, und zwar für folgende Plätze: Amsterdam, London, Paris, Bordeaux, Cadiz, Venedig, Lissabon, Breslau, Wien, Leipzig und Nürnberg. Der Saldenausgleich erfolgte nur zum Teil von Altona aus denen die direkt mit den Kunden. In den Ländern, in Handlung Zentralkorrespondenten unterhielt wie in England erledigten diese meistens für die Handlung den Saldenausgleich mit den Kunden.

Im Zeitpunkt ihrer höchsten Blüte um 1790 hatte die Handlung etwa 15 Angestellte und Lehrlinge. Soweit diese ledig waren, wohnten sie in dem Stammhaus an der Ecke Große Elbstraße und Elbbrücke. Die Arbeitszeit betrug etwa 15 Stunden pro Tag für Angestellte und Lehrlinge. Sonntags wurde nur vormittags gearbeitet. Die Aufstiegschancen waren gut. Ein tüchtiger Angestellter konnte es in fünf bis acht Jahren zu leitenden Stellungen bringen. Ein großer Teil dieser Angestellten hat sich später selbständig gemacht.

2 An der Grönlandfahrt haben sich die van der Smissens nach den anfänglichen Erfolgen zu Zeiten Gysbert I’s im späteren Verlauf des 18. Jahrhunderts nur noch indirekt durch Innehabung von Schiffsparten beteiligt. Korrespondenzreeder ihrer Schiffe waren insoweit vornehmlich die Angehörigen der ihnen verschwägerten Familie Linnich. Bei dieser Handhabung von Schiffsparten ist interessant, daß das jeweilige Fangergebnis den Mitreedern nicht in Geld, sondern anteilsmäßig in natura zur Verfügung gestellt wurde. Die Mitreder mussten den gewonnenen Tran also selber verkaufen oder brennen. Zu diesem Zweck hatten die Mennoniten zu Anfang des 18. Jahrhunderts auf genossenschaftlicher Basis eine Tranbrennerei gegründet, die die Verwertung der Fangergebnisse übernahm. An dieser waren um 1750 die beiden Brüder Hinrich II und Gysbert III van der Smissen mit 5/18 beteiligt.

3 Das Reedereigeschâft der van der Smissen’schen Handlung war ebenso wie die Grönlandfahrt auf der Basis von Partenreedereien für jedes einzelne Schiff organisiert. Die von der Handlung bereederten Schiffe waren reine hochseegehende Handelsfahrzeuge. In der Blütezeit der Handlung um 1790 bereederte die Handlung acht Schiffe, die etwa 10% der Tragfähigkeit der gesamten Altonaer Flotte ausmachten. Daraus folgt, daß das Reedereigeschäft der Handlung innerhalb derselben keine überragende Stellung hatte. Die Reedereien der Häuser van der Smissen, Baur und Matthieß waren vielmehr annähernd gleich stark.

Der Partenbesitz an den einzelnen Schiffen lag nicht bei der Handlung selbst, sondern bei den Handlungsteilshabern oder deren Söhnen. Er wechselte relativ oft, da die Schiffsparten offenbar wie heutzutage börsengängige Wertpapiere als Finanzanlagen angesehen wurden. Der Schiffspartenbesitz der beiden Linien des Altonaer Hauses van der Smissen zeigt deutlich das finanzielle Übergewicht der älteren Linie des Hinrich II van der Smissen.

Die Schiffe hatten damals eine Besatzung von durchschnittlich 12 bis 14 Mann. Ihr Einsatzgebiet war auf die west- und südeuropäischen Seeräume bis nach Cadiz und Marseille hin konzentriert. Die van der Smissen’schen Schiffe fuhren indessen auch in die Karibik, an die nordamerikanische Ostküste und im Norden nach Archangelsk. Soweit Abrechnungen über die Ergebnisse der einzelnen Schiffsparten vorliegen, kann daraus auf eine Verzinsung des in den Schiffsparten eingesetzten Kapitals zwischen 10% und 20% geschlossen werden.

D Der Zusammenbruch des Handelshauses van der Smissen

I Ursachen des Niederganges

Der Zusammenbruch war nicht die Folge einer plötzlichen, von außen auf die Handlung oder die Handlungsteilhaber einwirkenden Ereignisses. Er war vielmehr das Ergebnis eines fast zwanzigjährigen Abstieges der Handlung und der damit kontinuierlich verstärkten Beeinträchtigung des Kredites des Handelshauses. Der Niedergang hatte sicherlich mehrere Ursachen. Eine derselben dürfte in der auch unter veränderten Umständen unverändert gebliebenen Geschäftsphilosophie gelegen haben. Anders als die Konkurrenzunternehmen wie beispielsweise das Altonaer Handelshaus Conrad Hinrich Donner blieben die van der Smissens bei ihrem soliden Kommissions- und Speditionsgeschäft und mieden weiterhin den Eigenhandel, den sie als spekulativ ablehnten. Damit begrenzten sie zwar weiterhin ihre Risiken, waren aber auf der Einnahmenseite nicht mehr konkurrenzfähig.

Eine entscheidende Mitursache des Niederganges waren die Ereignisse der napoleonischen Zeit in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts, insbesondere der dänisch-englische Krieg und die von den Engländern verhängte Kontinentalsperre. Durch diese wurde der Seehandel praktisch völlig lahmgelegt, und mit ihm kam das von der Handlung betriebene Kommissions- und Speditionsgeschäft zum Erliegen. Konkurrierende Unternehmen überbrückten diese Zeit mit dem einträglichen Schmuggelhandel. Daran hat sich das Handelshaus van der Smissen wegen seiner strengen religiösen Bindungen indessen nicht beteiligt.

Ein schwerer Schlag war in diesem Zusammenhang auch die Wegnahme von vier von der Handlung bereederten Schiffen durch die Engländer und die Konfiskation bedeutender Forderungen der Handlung gegen ihren englischen Korrespondenten und englische Kunden, jeweils im Jahre 1807. Allein diese Forderungskonfiskation belastete die Handlung mit ca. Courantmark 107.000, wozu noch laufende Wechsel in bedeutendem Umfange an die Order englischer Kaufleute kamen, die ebenfalls konfisziert wurden. Als Ausstellerin der jeweiligen Wechsel mußte die Handlung für die fraglichen Wechselbeträge eintreten. Endlich kam die mangelnde kaufmännische Eignung und Durchsetzungskraft der beiden Handlungsteilhaber der 5. Generation, die 1809 in die Firma aufgenommen worden waren, in jenen schwierigen Zeiten besonders nachteilig zur Geltung.

In den Jahren 1794 bis 1807 hatte die Handlung regelmäßig stattliche Gewinne erwirtschaftet, die in dem besten Jahr bei oberhalb Courantmark 75.000 lagen. In den Jahren von 1808 bis 1819 gab es nur zwei Jahre mit einem minimalen Gewinn, während alle übrigen Jahre mit einem hohen Verlustausweis der Handlung abschlossen, der im Jahre 1819 bei Courantmark 108.000 lag. Diese Verluste zehrten zum einen an der früher sehr gesunden Eigenkapitalbasis des Unternehmens und belasteten zum anderen in zunehmendem Maße den Kredit des Handelshauses bei Dritten.

Der Gesellschaftsvertrag vom Jahre 1793 war auf eine feste Laufzeit von 25 Jahren geschlossen worden und sah für alle maßgeblichen Entscheidungen das Erfordernis der Einstimmigkeit vor. An diesen vertraglichen Gegebenheiten scheiterte der von Jacob Gysbert van der Smissen im Jahre 1809 eingebrachte Antrag auf Liquidation der Handlung, da sein eigener Sohn Gilbert van der Smissen dem Antrag widersprach. Wäre die Handlung damals liquidiert worden, so wäre der Familie van der Smissen unabhängig von dem Wert des Gutes Hanerau noch ein Vermögen von über einer Million Courantmark verblieben. Als der Gesellschaftsvertrag im Jahre 1818 kündbar wurde, waren die Passiven der Handlung so gestiegen, daß eine freiwillige Liquidation derselben nicht mehr in Betracht kam. Das hatte seinen Grund insbesondere auch in der Tatsache, daß die Eigenkapitalien der Handlungsteilhaber in der Handlung durch die überproportionalen Entnahmen durch Hinrich III van der Smissen – insbesondere im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Melioration (Melioration bezeichnet Maßnahmen zur Verbesserung der Bodenqualität und -nutzbarkeit. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „meliorare“ (verbessern) ab und umfasst verschiedene Methoden zur Verbesserung der Bodenstruktur, Wasserverteilung und Nährstoffhaushalte. Ziel ist es, die Fruchtbarkeit und die Produktivität der landwirtschaftlichen Flächen zu erhöhen, Anm. des Verfassers) des Gutes Hanerau – stark reduziert waren. Diese Entnahmen hatten dazu geführt, daß der Nachlaß Hinrich III’s bei seinem Tod im Jahre 1814 gegenüber der Handlung erheblich verschuldet war.

II. Die Liquidation der Handlung

Äußerer Anlaß für den längst fälligen Zusammenbruch der Handlung war die Verweigerung des Akzeptes eines Postens Wechsel im Gesamtbetrag von ca. Courantmark 270.000. Daraufhin wurde die Handlung für diesen Betrag wechselrechtlich in Anspruch genommen und mußte unter dem 7. Januar 1824 die Zahlungen einstellen. Die laufenden Geschäfte wurden von der Konkurrenzfirma J. H. & G. F. Baur fortgeführt. Eine Gläubigerversammlung beschloß die stille Liquidation der Handlung zur Vermeidung eines Konkurses und setzte eine dreiköpfige Administration ein. Die Liquidationsbilanz zeigte ein Defizit von Courantmark 1.364.000. Die Liquidation der Handlung scheint geschickt durchgeführt worden zu sein. Nach Bezahlung aller hypothekarisch gesicherten und privilegierten Forderungen konnte den nichtbevorrechtigten Gläubigern schließlich eine Quote von 25% angeboten werden. Das war indessen nur möglich, weil nicht an der Handlung beteiligte Verwandte der Familie van der Smissen erhebliche Beträge in die Liquidationsmasse eingeschossen hatten. In absoluten Zahlen sah das Bild so aus, daß auf das ursprüngliche Defizit von ca. Courantmark 1.360.000 ca. Courantmark 580.000 bezahlt wurden. Der eigentliche Ausfall der Gläubiger belief sich danach auf ca. Courantmark 780.000.

III. Folgen des Zusammenbruches des Handelshauses van der Smissen

Die wirtschaftlichen und kreditmäßigen Folgen des Zusammenbruches der Handlung waren für die zahlreichen Namensträger van der Smissen sehr einschneidend. Vielen von ihnen – insbesondere den unverheirateten weiblichen Familienangehörigen – wurde ihre finanzielle Lebensbasis entzogen oder stark beschränkt. In dieser schweren Zeit bewährte sich allerdings das familiäre und religiöse Zusammengehörigkeitsgefühl auf Seiten der mit den van der Smissen’s verschwägerten, noch wohlhabenden anderen Kaufmannsfamilien Altonas und Friedrichstadts und der beiden Mennonitengemeinden jener Orte insgesamt. Bemerkenswert war auch die Hilfestellung, die Johann Wilhelm Mannhardt und seine Frau Anna geborene van der Smissen den in Not geratenen Altonaer Verwandten in Hanerau in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Handlung angedeihen ließen.

Alle Versuche verschiedener Angehöriger der 5. und 6. Generation van der Smissen, sich wieder als Kaufleute selbständig zu machen und den immer noch guten Namen der Familie zu nutzen, schlugen fehl. Aus dem Altonaer Handel ist der Name daher seit dem Zusammenbruch der Handlung vollständig verschwunden. Im gewerblichen Bereich spielte dagegen ein Enkel Jacob Gysbert’s nochmals eine Rolle: Hinrich Theunis van der Smissen war Mitte des 19. Jahrhunderts Vorsteher der Bäckerzunft und Stadtverordneter in Altona. Im Übrigen hat die zahlreiche männliche Nachkommenschaft der 5. Generation van der Smissen nach dem Zusammenbruch der Handlung verstärkt akademische Berufe ergriffen und es darin weitgehend zu Ansehen und beruflichem Erfolg gebracht. Ein Sohn des Hinrich Theunis van der Smissen war gegen Ende des 19. Jahrhunderts Pastor der Mennonitengemeinde in Altona. Zahlreiche männliche Nachkommen der van der Smissens wanderten im 19. Jahrhundert nach Nordamerika aus und sind dort heute noch nachweisbar.

E Schlußbetrachtung

Auch wenn ich versucht habe, die Geschichte des altonaischen Handlungshauses van der Smissen in seinen Zeitbezügen nachzuzeichnen, so bleiben meine Ausführungen doch ein Ausschnitt aus einer Familiengeschichte. Sie mögen sich deshalb fragen, weshalb ich Ihnen das erzählt und woher ich mein Anschauungsmaterial bekommen habe. Beide Fragen sind einheitlich zu beantworten: Sie alle kennen einige Nachfahren der hier beschriebenen Familien van der Smissen, Linnich, de Jager und Mannhardt. Diese Verbindungslinie ist schnell nachgezeichnet. Johann Wilhelm Mannhardt’s und Anna van der Smissens ältester, 1791 geborener Sohn Hinrich Gysbert Mannhardt hatte aus seiner Ehe mit Helena Linnich zwei Töchter: die 1832 geborene Helene Wilhelmine Mannhardt hatte aus ihrer Ehe mit dem späteren Reichstagsabgeordneten Dr. Heinrich Wachs 8 Kinder, darunter als 5. den 1870 geborenen späteren Landstallmeister Carl Reinhardt Wachs, den die pferdesportlich interessierten Anwesenden vielleicht noch kennen. Diesem und seiner Ehefrau Friedliesel Dalwigk zu Lichtenfels wurde 1928 als fünftes Kind ein Sohn geboren, der sich als direkter Nachfahre von Gysbert I van der Smissen in der 11. Generation für Ihre Geduld und Ihr Interesse bedankt und zusammenfassend feststellt:

„Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt, der froh von ihren Taten, ihrer Größe den Hörer unterhält und still sich freuend ans Ende dieser schönen Reihe sich geschlossen sieht.“