Besuch bei Familie Vollmer, Nachkommen seiner Urgroßmutter
Auszug aus den Briefen von Peter Becker während seiner Marinezeit 1961 über den Besuch bei Familie Vollmer in Caracas. Anschließend an die Briefe seines Urgroßvaters Julius Mannhardt von 1881
Dies ist die Abschrift einer Abschrift. Die Briefe lagen wohl handschriftlich vor. Peters (Pits) Mutter, Mathilde Becker (geborene Krombach), hat sie in Maschine übertragen. 2020 wurde sie von Thomas Becker digitalisiert. Änderungen in dieser Version: Besser lesbare Überschriften, Anpassung an die spanische Schreibweise (zweimal: cañar, campaña), Zeilennummerierung, inhaltliche Ergänzungen, kenntlich gemacht durch (Anm.), Orte und Landmarken sind zur besseren Orientierung fettgedruckt hervorgehoben.
Das Wort sic (lat. „so“, „wirklich so“; vollständig: sīc erat scriptum‚ so stand es geschrieben‘) bedeutet, das ein Fehler bemerkt aber nicht korrigiert wurde.
Von Vollmers habe ich bis jetzt noch nichts gehört und kann nur annehmen, dass sie mich morgen früh abholen. Am Freitag liegt von ihnen eine offizielle Einladung für mich und dreißig Kadetten für eine Fahrt ins Landinnere und Besichtigung der zwei größten Haziendas – Las Palmas, den anderen Namen habe ich vergessen, vor, der Kommandant sagte es mir heute Morgen.
Heute Nachmittag waren 80 von beiden Schiffen zu einer Parade mit Kapelle zum Denkmal von Simon Bolivar oben in Caracas. Es wäre beinah zu einem Massenaufstand gekommen, wie man mir erzählte, weil die aufmarschierte Zuschauermenge uns für Amerikaner hielt und ein wahnsinniger Hass gegen die Staaten herrscht. Es konnte in letzter Minute noch abgebogen werden, indem Leute von uns und die anwesenden Deutschen das Volk aufklärten, und da war auf einmal alles gut.
Nun will ich aber erst berichten, wie wir überhaupt von dem schönen Trinidad hierher gekommen sind. An dem letzten Abend, an dem ich von dort schrieb, gab es extra für uns noch eine Sonderattraktion. Zwei schwarze Tanzpaare tanzten uns zur Steelband einige Originaltänze vor, u.a. auch einen Limbo, wo unter einem immer niedriger werdenden Stock hindurchgetanzt wird, bis er nur noch ca. 25 cm über dem Boden ist und sie beinahe auf dem Rücken durchrutschen. Für uns eine vollkommen unmögliche Sache. Um 12 Uhr waren wir dann wieder an Bord. Am Freitag um 8 Uhr legten wir ab und für uns begann der letzte Tag an Oberdeck.
Ein wahrhaft gesalzener Tag. Vormittags war eine große Morse- und Winkerprüfung, nachmittags Flaggensignalisierung und mündliche Prüfung vor dem Kommandanten und IO (Anm.: Bei der Deutschen Marine ist der Erste Offizier (IO, auch 1O) der erste Gehilfe und Stellvertreter des Kommandanten oder Kapitän eines Kriegsschiffes). Bei der Signalprüfung habe ich ehrlich gesagt ein bisschen gemogelt, weil ich mir daraus nicht sehr viel mache. Wir fuhren immer sehr dicht unter der Küste von Venezuela entlang.
Am Sonnabend begann dann unser Dienst in der Maschine. Ich bin für die nächsten 2-3 Wochen „Boiler Boss’“, d.h. sitze an der Quelle aller Kraft vor dem Kessel. Obwohl wir ja doppelt so viele Wachen gehen – am Oberdeck im 6er Turn, jetzt im 3er Turn, und unter viel schweren Verhältnissen – vor allem Temperaturen – macht es uns allen viel Spaß. Wir bekommen alle wieder einen Riesenappetit und die Luftveränderung auf 45- 50 Grad im Keller bekommt uns gut. Wir hatten am Samstag unseren Ankerplatz vor La Guaira schon erreicht. Direkt vor einem der modernsten Badeorte. Wir, d.h. die Hipper (also das Boot auf dem Peter fährt?), lag nur kurz da. Unser armer Kommandant hatte sich beim Frühsport den kleinen Zeh gebrochen und musste auf die Spee (das Boot? Beide Schiffe scheinen gemeinsam gefahren zu sein?) zum Röntgen.
Mit Einbruch der Dunkelheit gingen wir Anker auf, weil es dort nachts über unser Schiffsführung zu gefährlich war. Wir mussten wegen der Wassertiefen dicht unter Land bleiben mit dem Po bald auf dem nächsten Felsen, dazu starke Strömung und Wind. So fuhren wir ca. 170 sm in der Nacht und ich machte 4 Stunden mit Dampf.
Sonntagmorgen gingen wir wieder am alten Platz vor Anker. Morgens war ein sehr schöner Gottesdienst des ev. Pfarrers, der wieder mal ein paar Tage bei uns ist. Den ganzen Nachmittag habe ich wieder vor dem Kessel verbracht, da wir immer unter Dampf lagen, um jederzeit loszukommen. Am 1. Mai war ,,Tag der Arbeit“, d.h. ich hatte vormittags sowieso Wache, dafür nachmittags frei. Aber die ,,Tampenjonnies“ wie wir als Heizer nun die Oberdeckskadetten nennen, musste(n) kräftig pönen (Anm.: pönen bedeutet in der Sprache der Seefahrt anstreichen).
Dienst an Bord: Hafenwachturn oder als Heizer
Heute Morgen ging es schon früh los. Um 3.30 Uhr aus der Koje hinab in den Keller. Wir mussten seeklar machen, den 2. Kessel auch noch zünden für das Einlaufmanöver. Als wir dann nach 4 Stunden ölverschmiert und verschwitzt wieder auftauchten, hatten wir gerade an der Pier festgemacht. Das ist jetzt der Nachteil, dass man nicht so viel davon mitbekommt, was um einen herum geschieht. Dafür ist der Hafenwachturn wieder geruhsam. Als Heizer braucht man nicht mehr 8 Stunden vor der Kom.kajüte – Anzug äußerst schnieflig – mit strammem Seemannsblick in die Weite schauen und Geheimdokumente und den Schlaf des Alten zu bewachen. Man zieht an, was den Temperaturen entspricht und bewacht 2×2 Stunden in 24 Stunden den Dieselgenerator, natürlich im Sitzen mit Zigarette und einem Schlückchen zu Trinken.
Inzwischen ist Freitagabend und ich sitze in dem sehr gemütlichen dt. Club oben in Caracas auf der Terrasse. Nachdem ich 1 Stunde nach Sonnenuntergang noch ins Schwimmbad gegangen bin, bis ich seit Wochen zum ersten Mal wieder begann zu frieren, geht es mir jetzt wohl. Aber lasst mich am Anfang beginnen und versuchen, mich an alles zu erinnern. Es wird schwer sein, trotz der Notizen, die ich mir abends mit halb geschlossenen Augen machte.
Anrufe aus Onkel Albertos Büro
Am Mittwoch früh um 8 Uhr fuhr ein großer schwarzer „Pontiac Imperial“ mit Chauffeur in Uniform und einem Herrn vor und verlangte nach mir. Ich war noch nicht angezogen, da die dt. Botschaft mir die Zeit falsch übermittelt hatte. Sie waren am Tag zuvor leicht ins Schleudern geraten durch verschiedene Anrufe aus Onkel Albertos Büro, wonach sie versuchen sollten, mich zu erreichen. Und wenn der alte Vollmer so etwas verlangt, hat halb Venezuela zu laufen, dazu sagt er noch, daß ich ein Verwandter sei und da war das Durcheinander dann endlos.
Nun, der Herr stellte sich als Verkaufsleiter der Vollmerorganisation vor und war abgestellt, mich an diesem Tag zu betreuen. Ein typischer Geschäftsmann, relativ jung, seit ca. 10 Jahren in Venezuela, tat aber so, als ob er kaum mehr Deutsch sprechen könne.
Herrensitz Montalban
Wir fuhren also nach Caracas hoch zum Herrensitz Montalban. Direkt am Rand der Stadt, d.h. eigentlich in der Stadt, z. Zt. aber noch in einer Enklave von riesigen Ausmaßen innerhalb der Stadt, die, obwohl kaum Boden vorhanden ist, völlig unbebaut ist. Es ist eine Hazienda der Familie, auf deren Grund heute ein Großteil der Stadt steht, der Rest soll jetzt bebaut werden. Die Vollmers lassen dort in eigener Regie und Finanz ein ganz neues modernes Stadtviertel entstehen (320 Millionen Projekt). Montalban ist ein Traum. Inmitten eines trop. Parks ein flaches Haus im Kolonialstil. Edle Hölzer, Blumen, Gemälde und wertvolle Teppiche. Natürlich gehört auch ein Schwimmbad dazu. Ohne das gibt es hier kein Haus der „upper ten“.
Noch etwas, was ich von anderen Verwandten erfahren habe, die bereit waren, zu erzählen. Der alte Vollmer wird auf 300 Millionen Dollar geschätzt, er soll der reichste Mann Venezuelas sein und der Mann, der in Lateinamerika das sicherste Kapital hat. Er kontrolliert 11 Haziendas von unvorstellbaren Ausmaßen, besitzt 3 Zuckerfabriken, will noch eine in Kolumbien bauen, dazu eine moderne Papierfabrik, die größte Rumbrennerei in Santa Teresa und mindestens ebenso viele nicht offene Beteiligungen.
Begegnung mit dem alten Vollmer
Das ist der Geschäftsmann: hart, arbeitsam und exakt, absolut europäisch, eigentlich deutsch. Er ist wie seine Söhne ein blonder Riese – 71 Jahre alt und sehr vital. Im Moment geht es ihm nicht so gut, er hat seit 3 Monaten immer etwas Fieber und man weiß nicht, woher es kommt. Er ist heute zu einem seiner Lieblingslandsitze in die Berge gefahren, um nach seiner großen Marotte, dem Kaffee und den dazugehörigen Schattenbäumen zu sehen. Aber zu den Tatsachen zurück.
Wir betraten vorsichtigen Schrittes Montalban durch kühle Vorhallen, Mütze und Taschen wurden mir von unsichtbaren Dienern entwendet, ehe ich wusste, was mir geschah. Wir wurden in das Empfangszimmer geführt und gebeten, in den Sesselkolossen Platz zu nehmen, was wir natürlich nicht taten. Das Zimmer ist nur Familiengeschichte und war mit viel Mühe für meinen Besuch hergerichtet, um mir alles zu demonstrieren. Nach kurzer Zeit kam er an der Seite seiner Frau aus den Schlafgemächern, beide in schwere Morgenmäntel gehüllt. Ich wurde dann aber trotz all dem beinah angsteinflößend und mit einer solchen Herzlichkeit empfangen, wie ich das nie erwartet hätte, von einem Mann, der selbst von seinen Söhnen mit „Don Alberto“ angeredet wird.
Wir unterhielten uns zuerst meist in Englisch, da seine Frau nur wenige Worte deutsch spricht. Sie ist ca. 20 Jahre jünger als er und war gerade auf dem Weg nach New York zu fliegen, um dort einen berühmten Arzt wegen ihres Blutdruckes zu konsultieren. lch wurde deshalb so früh geholt, weil sie mich auch hatte sehen wollen.
Zur Hacienda Santa Teresa
Wir fuhren dann los. Onkel Alberto bedauert es sehr, dass er wegen seiner allgemeinen Schwäche nicht mitkommen konnte. Nach Santa Teresa ist es ca. 100 km, das wir in einem Haus von einem Personenwagen nicht arg (Anm.: Satz unklar), aber man steigt von 900 m Höhe auf fast 2000 m ins Gebirge auf Prachtstraßen, weit besser als unsere Autobahnen, und auf der anderen Seite wieder hinunter. Der Luftwechsel von monatelanger Meereshöhe plötzlich ins Hochgebirge war auch für mich wahnsinnig anstrengend. Wir fuhren also nach El Palmar (Anm.: Liegt Hacienda Santa Teresa in dem Ort El Palmar?), wobei man die letzten 40 km durch ein Tal fährt, das grün ist von VoIIm. Zuckerrohr. In den höheren Seitentälern ziehen sie noch Kaffee, den sie früher hauptsächlich zogen. Die Caña – das Zuckerrohr- bringt aber mehr ein und ist sicherer.
El Palmar ist die modernste und größte Zuckerfabrik in Lateinamerika, es werden täglich in 24 Stunden ca. 5000 t Rohr verarbeitet. Die campaña beginnt im Januar und ich hatte Glück, gestern ging der letzte Büschel durch die Mühlen. Generaldirektor ist Gustav Vollmer, ein absolut amerikanischer Geschäftsmann und Manager. Er wohnt auch dort in einem sehr geschmackvollen Bungalow mit seiner Frau – einer rein span. Familie entstammend – und 6 Mädchen von 3-15 Jahren und einem Sohn.
Don Alberto nennt die Kinder „Majories oder Gringos“, weil sie tiefblaue Augen und die dunklen Haare und Haut der Mutter haben und darum aus der Art schlagen. Bei ihnen aß ich sehr nett und gepflegt zu Mittag, dann musste er leider weg, weil er in New York, Boston und Chicago zu tun hatte. Alberto jun. ist in England und zurzeit in Mailand, um Maschinen einzukaufen.
Auch ihre Schwester ist in New York. Einer seiner dt. Ingenieure zeigten mir den Betrieb und wir fuhren dann zusammen im Jeep – Gustav am Steuer – zur alten Hazienda hinüber. Es ist ein großes Hobby von Don Alberto, alles Alte, wenn es sein muss, ganz alte Fabrikationsbetriebe aus dem vorigen Jahrhundert genau zu erhalten, wie sie waren. Manchmal sehr zum Ärger seiner Ingenieure, die eine moderne Destillationsanlage um einen alten Raum herumbauen müssen, ein Lagerhaus um einen alten Pferdestall und tausend andere Sachen. So ist es auch in El Palmar, es steht noch alles so wie früher, sogar ein Großteil der Möbel sind noch darin. Gustav und Alberto jun. sind noch hier gestorben und es ist recht interessant, anhand der heutigen Bauten und dieses einfachen kleinen Rancheroshauses die Entwicklung zu betrachten.
Geschäft mit dem Rum
Noch etwas Typisches für ihn. Sämtliche Dienststellen, Wohnungen der Familie und Direktoren, ebenso die Wagen sind mit einem eignem Funknetz ausgestattet, um unabhängig vom öffentlichen Telefon zu sein. Und so wurde während dieses Tages von jeder Station dem alten Herren genaustes (sic) über unsere Bewegungen berichtet einschl. dem was gesehen, gegessen und getrunken wurde, selbst von seinem Sohn, der immerhin Dr. Ing. 45 Jahre alt ist und die Uni summa cum laude abgeschlossen hat.
Wir, mein ständiger Begleiter und ich, fahren gegen 2 Uhr weiter. Diesmal auf Umwegen ein wenig durchs Land, an den Valencia See und Maracai. Dort genehmigen wir uns in der Bar eines der schönsten und luxuriösesten Hotels von unbeschreiblicher Schönheit unter dem Badegeplätscher der upper ten einen Drink. Von dort ging es wieder hoch in die Berge nach Santa Teresa, wo die gesamte Melasse aus der Zuckerfabrik zu Rum gebrannt wird. Sie verkaufen jährlich ca. 4,5 Mill. Liter nur im Inland bei 5 Mill. Einwohnern. Die Produktion soll um ein weiteres Drittel gesteigert werden.
Der Zwischenfall mit der Fliege
Ich bekam auch dort den Betrieb gezeigt und dann machten wir uns auf den Heimweg. Um 19 Uhr waren wir in Montalban. Die Fahrt abends ist märchenhaft, weil man fast 45 Min. Caracas in vollem Lichtermeer unter sich liegen sieht und in großen Schleifen vom Gebirge herunter kommt.
Den Abend habe ich dann ganz alleine mit Onkel Alberto verbracht. Erst führte er mich in meine Wohnung, bestehend aus: einen Superbad à la Hollywood, Umkleideraum, Vorraum, Schlafsaal und Herrenzimmer, dazu einen Diener, den ich nicht zu verscheuchen wagte. Wir speisten zusammen, unter entsprechender Bedienung, entsprechende lukullische Kostbarkeiten. Einen kleinen Zwischenfall gab es. Eine Fliege wagte es, sich auf der 3 m langen Tafel, an deren beiden Kopfenden wir saßen, niederzulassen. Sie wurde ganz dezent von dem Butler auf genaue Anweisung des hohen Herrn mit einer silbernen Fliegenklatsche betäubt und wie ein Untier aus der Fabelwelt hinausgetragen, wo sie ihr endgültiges Schicksal erreicht haben mag. Wir saßen noch über eine Stunde über alles Mögliche plaudernd zusammen und gingen dann zu Bett. Erst einmal setzte ich mich eine halbe Stunde in einen Riesenclubsessel und ließ die Umgebung, an nichts denkend, auf mich wirken. Eine weitere Stunde verbrachte ich im Bad, um die verschiedenen Anlagen, mehrere Klos, Duschen, Wannen, usw. auszuprobieren, dann ging ich halbtot vor Müdigkeit in mein Schlafgemach, ließ den rohseidenen Schlafanzug über mich gleiten und versuchte auszuprobieren, ob man längs, quer oder diagonal am besten auf dem Etwas, was ich nicht einfach als Bett zu bezeichnen wage, schlafen könne. Jedenfalls bin ich eingeschlafen und wenn mich morgens um 8.15 Uhr nicht ein Hausgeist geweckt hätte, wäre ich an diesem Tag gar nicht mehr aufgewacht.
Vollmar-Canabria – 71 Jahren mit sehr viel Unsinn im Kopf
Sonntag, den 08.05.1961
Ich sitze wieder im Club. Mit zwei anderen bin ich gleich nach dem Essen heraufgefahren und wir hatten das ganze Gelände und Schwimmbad allein für uns. Hier brauchen wir nur eine Badehose anzuhaben und können unsere letzte frische Uniform sparen für den offiziellen Ball, der auch hier ist heute Abend.
Aber ich will weiter erzählen vom Donnerstag. Ich bekam, nachdem ich angezogen war, mein Frühstück gebracht. Da Onkel Alberto noch nicht fertig war, er steht jeden Morgen um 6 Uhr auf und erledigt erst seine Post, ging ich in den Park und machte ein paar Aufnahmen. Dann sagte ich Guten Morgen und wir warteten auf seinen Vetter, der auch bald kam. Er ist der, der mit ihm zusammen in Deutschland zur Schule gegangen ist und Vollmar-Canabria heißt. Es ist ein lustiger, kleiner vitaler Herr mit 71 Jahren mit sehr viel Unsinn im Kopf wie unsereiner, das sollte ich den Tag über spüren. Er war also für den Tag abgestellt vom großen Chef mich zu betreuen. Wir bekamen wieder einen der großen schwarzen Wagen mit Chauffeur ab, kreuz und quer durch Caracas, denn das sollte ich kennen lernen. Die Visitenkarte mit dem V darauf öffnete uns Tor und Tür. Zwischendurch nahmen wir in den feudalsten Clubs unsere Drinks, wo alleine der Eintritt für ein neues Mitglied ca. 28000 DM kostet. Wir waren übereingekommen, dass wir beide ganz gern etwas trinken und auch einmal ein hübsches Mädchen sehen und platzierten uns darum immer an die Schwimmbäder. Wir taten aber auch etwas für die kulturelle Erziehung, besuchten das Simon Bolivar Museum, den Circo Militaire, das Kriegsministerium mit seinen Schulen, Clubs usw. Und das ehemalige Vollmersche Kaffeecentrum in der Stadt, von wo aus der Kaffee in die ganze Welt ging. Heute mehr ein Museum, es stehen noch die alten Sortiermaschinen und Wagen aus dem vorigen Jahrhundert dort. Da sie nur noch wenig Kaffee ziehen, ist es heute nicht mehr so wichtig. Dann besuchten wir Frederico Vollmer, Albertos Bruder, der eine wundervolle Villa mit Park und Schwimmbad in der besten Lage Caracas hat. Vom Haus bis zum Frühstücksbrettchen alles von Prof. Heimann Berlin entworfen und in Deutschland hergestellt. Er ist mit einer Berlinerin verheiratet, die, wenn sie nicht gerade in Paris ist, Orchideen und andere seltene Pflanzen zieht. Er selber lag im Bett und wir begrüßten ihn, er ist auch bald 70. Ich glaube aber im Sterben. Wir nahmen bei ihm auf der Terrasse auch unsere Drinks mit einer lustigen Damengesellschaft der oberen Zehntausend. Mittlerweile hatten wir zwar viel getrunken, aber wenig gegessen und so fuhren wir zum ersten Hotel von Ven (Anm.: wahrscheinlich Venezuela) in Caracas, Tamanaco, erst einmal ließen wir uns Tisch, Sessel und Sonnenschirm an
den Swimmingpool bringen und schlürften den wievielten Wiskysoda (sic!). Dann wurde eine Stunde ausgiebig gespeist. Beginnend mit gerade in La Guaira gefangenen Langusten. Wir gondelten dann noch ein wenig durch die Stadt und ich wurde gegen 5 Uhr von dem Wagen in den Hafen gebracht. Da ich noch keine Lust hatte, den Abend auf dem heißen Schiff zu verbringen, stieg ich mit der ganzen Bande um in einen Bus und fuhr wieder zurück nach Caracas in den dt. Club, wo ein Bierabend für uns gegeben wurde. Es wurde auch etwas getanzt.
Abschiedsfest mit 30 Kadetten, Spießbraten und Rum
Gestern, am Freitag, ich hatte eigentlich Wache, wurde aber vom Kom. ob meiner Beziehung zu Vollmers beurlaubt, fuhren wir dann mit 30 Kadetten und vier Offizieren nach Santa Teresa und El Palmar. Wir besichtigten erst die Rumfabrikation und probierten ihn ausgiebig. Von dort ging es leicht angeschlagen nach El Palmar zur Zuckerfabrik. Es war schrecklich heiß und ich setzte mich mit dem alten Canabria gleich ab. Wir inspizierten auf der alten Hacienda das Spießbratenessen und die Getränke, bei deren Kontrolle wir mit den Ingenieuren der Fabrik reichlich interessiert hängen blieben. Als die anderen kamen, waren wir recht lustig und ich hatte mich schon zivilisiert, d.h. Uniformjacke und Krawatte in die nächste Bananenstaude gehängt und die Ärmel hochgekrempelt.
Was sollten da die Offiziere auch anders machen, als unter Anführung unseres sonst sehr auf Form sehenden Kadettenoffiziers zu folgen. Nach den ersten Santa Teresa Spezial Rum Cocktails fiel es ihnen auch nicht mehr schwer, vor allem auf nüchternen Magen.
Es gab dann herrliches Fleisch am Spieß mit Salaten und noch mehr zum Trinken. Leider war die Zeit zu kurz. Man hatte sich eigentlich vorgenommen, uns ordentlich unter die Palmen zu trinken in den 4 Stunden. Voll des süßen Raums (Anm.: Rums?) fuhren sie mit dem Bus hinabwärts. Ich fuhr mit dem alten Herrn Canria (sic!) und ließ mich hier im Club absetzen, wo ich den Bericht begann.